Zweites Türchen

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Traurig und doch wertvoll: „Das Kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern“

Es ist wahrlich ein trauriges Märchen und doch verzaubert es seit jeher Jung und Alt. Mit seinem berührenden Märchen „Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern“ schuf der dänische Dichter und Schriftsteller Hans Christian Andersen eine besondere Geschichte. Sie verliert nie an Aktualität und darf in dieser besinnlichen Zeit nicht fehlen, um uns an das Wesentliche zu erinnern.

H. C. Andersen (1805-1875) (Bild: iStock)
  1. C. Andersen, 1805 in Odense (Dänemark) geborener Sohn eines armen Schusters, verließ sein Elternhaus nach dem frühen Tod seines Vaters bereits mit 14 Jahren. Um Schauspieler zu werden ging er nach Kopenhagen, was ihm jedoch nicht gelang. Er begann viel zu reisen und immer mehr zu schreiben. Für seine Märchen inspirierten ihn Volkserzählungen, Sagen und historische Begebenheiten. Viele seiner 156 Märchen und die meisten Dramen, Gedichte und Reiseberichte sind heute kaum bekannt. Doch seine berühmtesten Märchen zählen mittlerweile zur Weltliteratur und wurden in über 40 Sprachen übersetzt.

Zu den bekanntesten Märchen zählen „Die Schneekönigin“, „Die kleine Meerjungfrau“, „Des Kaisers neue Kleider“ sowie die „Prinzessin auf der Erbse“.

Eine besonders berührende Geschichte erzählt er uns in dem Märchen „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“. Es spielt im 19. Jahrhundert und handelt von einem armen Mädchen, das von seinem strengen Vater gezwungen wird, auf der Straße Schwefelhölzer zu verkaufen. Es ist viel zu leicht bekleidet für diese kalte Silvesternacht und muss bitterlich erfrieren. Auch wenn das Märchen traurig endet hat es sich in den Herzen der Menschen fest verankert.

Gerade jetzt in der Vorweihnachtszeit lädt es uns zum Besinnen und Nachdenken ein: Dankbar zu sein für alles, was wir haben, nicht zu vergessen, dass es um mehr geht als um Geschenke und Feiern. Das Fest der Liebe erinnert uns daran, unsere Herzen auch für andere zu öffnen, denen es gerade nicht so gut geht. Dafür muss man manchmal gar nicht weit in die Ferne blicken – in der Familie, in der Nachbarschaft, auf der Straße während der Weihnachtseinkäufe….

Die Geschichte erzählt uns auch von den kleinen Dingen, die in schweren Zeiten viel Bedeutung haben und Kraft geben können. Es reichen schon kleine Gesten der Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft, um anderen das Gefühl zu geben, dass sie nicht alleine sind.

Wir wünschen Ihnen eine besinnliche Vorweihnachtszeit!

Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern

Von H. C. Andersen

[414] Es war fürchterlich kalt; es schneite und begann dunkler Abend zu werden, es war der letzte Abend im Jahre, Neujahrsabend! In dieser Kälte und in dieser Finsternis ging ein kleines, armes Mädchen mit bloßem Kopfe und nackten Füßen auf der Straße. Sie hatte freilich Pantoffeln gehabt, als sie vom Hause wegging, aber was half das! Es waren sehr große Pantoffeln, ihre Mutter hatte sie zuletzt getragen, so groß waren sie, diese verlor die Kleine, als sie sich beeilte, über die Straße zu gelangen, indem zwei Wagen gewaltig schnell daher jagten. Der eine Pantoffel war nicht wieder zu finden und mit dem andern lief ein Knabe davon, der sagte, er könne ihn als Wiege benutzen, wenn er selbst einmal Kinder bekomme.

Sterntalermädchen: (Bild: 162279286, Moving Moment – stock.adobe.com)

Da ging nun das arme Mädchen auf den bloßen, kleinen Füßen, die ganz rot und blau vor Kälte waren. In einer alten Schürze hielt sie eine Menge Schwefelhölzer und ein Bund trug sie in der Hand. Niemand hatte ihr während des ganzen Tages etwas abgekauft, niemand hatte ihr auch nur[415] einen Dreier geschenkt; hungrig und halberfroren schlich sie einher und sah sehr gedrückt aus, die arme Kleine! Die Schneeflocken fielen in ihr langes, gelbes Haar, welches sich schön über den Hals lockte, aber an Pracht dachte sie freilich nicht.

In einem Winkel zwischen zwei Häusern – das eine sprang etwas weiter in die Straße vor, als das andere – da setzte sie sich und kauerte sich zusammen. Die kleinen Füße hatte sie fest angezogen, aber es fror sie noch mehr, und sie wagte nicht nach Hause zu gehen, denn sie hatte ja keine Schwefelhölzer verkauft, nicht einen einzigen Dreier erhalten. Ihr Vater würde sie schlagen, und kalt war es daheim auch, sie hatten nur das Dach gerade über sich und da pfiff der Wind herein, obgleich Stroh und Lappen zwischen die größten Spalten gestopft waren. Ihre kleinen Hände waren vor Kälte fast ganz erstarrt. Ach! Ein Schwefelhölzchen könnte gewiß recht gut thun; wenn sie nur wagen dürfte, eins aus dem Bunde herauszuziehen, es gegen die Wand zu streichen, und die Finger daran zu wärmen. Sie zog eins heraus, »Ritsch!« Wie sprühte es, wie brannte es! Es gab eine warme, helle Flamme, wie ein kleines Licht, als sie die Hand darum hielt, es war ein wunderbares Licht! Es kam dem kleinen Mädchen vor, als sitze sie vor einem großen eisernen Ofen mit Messingfüßen und einem messingenen Aufsatz; das Feuer brannte ganz herrlich darin und wärmte schön! – Die Kleine streckte schon die Füße aus, um auch diese zu wärmen – – da erlosch die Flamme, der Ofen verschwand – sie saß mit einem kleinen Stumpf des ausgebrannten Schwefelholzes in der Hand.

Ein neues wurde angestrichen, es brannte, es leuchtete, und wo der Schein desselben auf die Mauer fiel, wurde diese durchsichtig wie ein Flor. Sie sah gerade in das Zimmer hinein, wo der Tisch mit einem glänzend weißen Tischtuch und mit feinem Porzellan gedeckt stand, und herrlich dampfte eine mit Pflaumen und Äpfeln gefüllte, gebratene Gans darauf! Und was noch prächtiger war, die Gans sprang von der[416] Schüssel herab, watschelte auf dem Fußboden hin mit Gabel und Messer im Rücken, gerade auf das arme Mädchen kam sie zu. Da erlosch das Schwefelholz, und nur die dicke, kalte Mauer war zu sehen.

Sie zündete ein neues an. Da saß sie unter dem schönsten Weihnachtsbaume. Der war noch größer und aufgeputzter als der, welchen sie zu Weihnachten durch die Glasthüre bei dem reichen Kaufmanne erblickt hatte. Viel tausend Lichter brannten auf den grünen Zweigen und bunte Bilder, wie die, welche die Ladenfenster schmücken, schauten zu ihr herab. Die Kleine streckte die beiden Hände in die Höh’ – da erlosch das Schwefelholz; die vielen Weihnachtslichter stiegen höher und immer höher, nun sah sie, daß es die klaren Sterne am Himmel waren, einer davon fiel herab und machte einen langen Feuerstreifen am Himmel.

»Nun stirbt jemand!« sagte die Kleine, denn ihre alte Großmutter, welche die einzige war, die sie lieb gehabt hatte, die jetzt aber tot war, hatte gesagt: »Wenn ein Stern fällt, so steigt eine Seele zu Gott empor.«

Sie strich wieder ein Schwefelholz gegen die Mauer, es leuchtete ringsumher, und im Glanze desselben stand die alte Großmutter, glänzend, mild und lieblich da.

»Großmutter!« rief die Kleine. »O, nimm mich mit! Ich weiß, daß Du auch gehst, wenn das Schwefelholz ausgeht; gleichwie der warme Ofen, der schöne Gänsebraten und der große, herrliche Weihnachtsbaum!« Sie strich eiligst den ganzen Rest der Schwefelhölzer, welche noch im Bunde waren, sie wollte die Großmutter recht festhalten; und die Schwefelhölzer leuchteten mit solchem Glanz, daß es heller war, als am lichten Tage. Die Großmutter war nie so schön, so groß gewesen; sie hob das kleine Mädchen auf ihren Arm, und in Glanz und Freude flogen sie in die Höhe, und da fühlte sie keine Kälte, keinen Hunger, keine Furcht – sie waren bei Gott![417]

Aber im Winkel am Hause saß in der kalten Morgenstunde das kleine Mädchen mit roten Wangen, mit lächelndem Munde – tot, erfroren am letzten Abend des alten Jahres. Der Neujahrsmorgen ging über die kleine Leiche auf, welche mit Schwefelhölzern da saß, wovon ein Bund fast verbrannt war. Sie hat sich wärmen wollen, sagte man. Niemand wußte, was sie Schönes erblickt hatte, in welchem Glanze sie mit der alten Großmutter zur Neujahrsfreude eingegangen war!

Quelle:
Andersen, H[ans] C[hristian]: Sämmtliche Märchen. Leipzig 31[um 1900], S. 414-418.
http://www.zeno.org/nid/20004412761

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