
Wie leidet man richtig? Eine merkwürdige Frage, in der Tat: Was bedeutet es, richtig zu leiden? Niemand leidet gerne, nicht wahr? Warum also überhaupt darüber nachdenken, wie man es richtig tut? Schließlich will man das ja tunlichst vermeiden! Ende der Geschichte. Oder vielleicht doch nicht?
Also, warum sollte man über die Frage nachdenken, wie man richtig leidet? Einer der Gründe ist, dass sich Leiden nicht vermeiden lässt und man nicht über das eigene Leiden entscheiden kann. Für die einen tritt das Leiden in Form von Krankheit auf, für die anderen sind es missbräuchliche Beziehungen, Armut, Schulden und vieles mehr.
Im Buddhismus spricht man von den „Vier Edlen Wahrheiten“, und die erste von ihnen stellt tatäschlich das Leiden dar. Leiden ist unvermeidlich. Das Leben ist voll davon und man kann ihm nicht entkommen. Viele glauben, dass man es mit genügend Geld, guten Beziehungen, einem gesunden Körper und ähnlichem das Leben gut meistern könnte. Aber letzten Endes ist das Leiden unausweichlich, genau wie der Tod. Glück ist immer relativ. Wenn man durstig ist, ist man glücklich, wenn man Wasser trinken kann. Wenn man auf die Toilette drängt, ist man glücklich, wenn man sich erleichtern konnte. Wenn man arm ist, ist man glücklich, wenn man reich wird, und wenn man krank ist, ist man glücklich, wenn man gesund wird. Aber sobald man diese Dinge erreicht hat, verblasst dieses kurzweilige Gefühl des Glücks auch schon. Dasselbe gilt auch für alle anderen Lebensbereiche.
Da Leiden unvermeidlich ist, ist das Erlernen des Umgangs damit eines der größten Dinge, die man im Leben lernen kann. Das Leiden ist so gut wie immer präsent, daher ist es besser, sich damit auseinanderzusetzen, als so zu tun, als wäre es nur vorübergehend oder nur eine Illusion.
Die Willsensschwäche
Werfen wir einen Blick auf Menschen, die sich schwer tun mit dem Leiden. Solche Menschen sind anfällig für emotionale Extreme. Sobald sie mit etwas konfrontiert werden, das ihren Seelenfrieden stört, können sie es schwer ertragen, sich außerhalb ihrer Komfortzone zu befinden. Wenn solche Menschen mit einer Herausforderung konfrontiert werden, wehren sie sich entweder instinktiv dagegen oder sind unfähig, die Herausforderung zu bewätligen. Sie agieren dann oft wütend, traurig, gewalttätig oder verängstigt. Viele werden alles tun, um aus der Situation herauszukommen. Aber diese Situation ist nicht etwas, aus der man sich leicht herauswinden kann. Wenn es so wäre, wäre das Leiden keine so große Sache.
Nehmen wir zum Beispiel den Fall von Randalierern und Plünderern, die bei der geringsten Provokation Schaden in großem Ausmaß anrichten. Sie wollen, dass ihre Ansichten und Gefühle von allen anderen verstanden werden. Deshalb zerschlagen und zerstören sie, wenn sie nicht bekommen, wonach sie streben. Wie ein Alkoholiker, der sich dem Alkohol zuwendet: Wenn das Leben bergab geht, sucht dieser Trost in äußeren Stimulanzen, um sich so über das Leiden hinwegzutäuschen.
Wie gehen Sie mit Rückschlägen im Leben um? Weinen Sie und machen Sie Dinge kaputt? Beleidigen Sie Menschen, die Ihnen am nächsten stehen? Oder reagieren Sie mit Toleranz? Eine tugendhafte Eigenschaft, die heutzutage in der Tat sehr selten anzutreffen ist? Warum aber ist Toleranz so wichtig?
Der wahre Sieger
Etwas zu tolerieren bedeutet nicht, Ungerechtigkeiten zu dulden. Das ist nicht die Duldung, um die es hier geht. Toleranz ist die Kontrolle der Emotionen, wenn man im Leben hinfällt, zu Boden geschlagen oder verraten wird oder immer wieder versagt. Toleranz ist die Kapazität und Fähigkeit des Geistes, trotz Schmerz und Angst im Angesicht einer Niederlage weiterzumachen. Sie erfordert unglaubliche Geistesstärke und die Kenntnis der universellen Wahrheit.
Was passiert, wenn man es schafft, eine leidvolle Situation mit Toleranz zu meistern? Dann hat man das Leiden erduldet und kann in die nächste Phase übergehen. Wir alle kennen sicherlich nur zu gut die Vorstellung, im Leben gewinnen zu müssen. Das sei das Wichtigste, und wenn man verliert, hat man das Gefühl, dass es das Leben nicht gut mit einem meinen würde. Jedoch sind Gewinnen und Verlieren zwei Seiten derselben Medaille. Die Fähigkeit im Leben weiterzumachen, nachdem man geschlagen wurde, bedeutet aber auch, gewissermaßen zu gewinnen. Wenn man geistig ausgeglichen ist und sich über Gewinn oder Verlust keine Sorgen macht, ist dies eine andere Form des Sieges. In diesem Fall haben Sie für das Leben gesiegt und gegen das Leiden durchgehalten. Sie haben Ihre Fähigkeit, richtig zu leiden, gemeistert.

Wenn man diese Form der Toleranz leben könnte, wird einem nichts auf dieser Welt beeinflussen, stören oder bewegen können. Toleranz gegen unglaubliche Widrigkeiten ist eine der Schlüsseltugenden in allen buddhistischen Schulen. Je besser man mit dem Leiden umgehen kann, desto leichter kann man mit allem umgehen, was das Leben für einen bereithält. Wenn man sich emotional nicht bewegen lässt, kann man mit größerer Verantwortung umgehen, und es öffnen sich plötzlich mehr Möglichkeiten und Chancen, denen man sich zuvor vielleicht nicht gewachsen fühlte. Mit großer Verantwortung kommt große Macht. Die Wahrheit hinter Begebenheiten ist also manchmal auch umgekehrt als es zuerst scheinen mag.
Dieser Artikel erschien zuerst im Englischen auf Nspirement.com.