COVID-19 hat sich in den letzten Monaten rasant über nahezu den ganzen Erdball verbreitet. Wir finden uns in einer nie dagewesenen Situation wieder, in welcher wir erneut lernen können, in unser Inneres zu blicken.
Als Maler, Tätowierer, Assistenzprofessor und Kunstjournalist, brachte mich diese Pandemie dazu, über die Bedeutung der Kunst und Kreativität inmitten meiner alltäglich präsenten Angst nachzudenken. Alle Tattoshops in meinem Umfeld sind derzeit geschlossen. Die Universität, an der ich lehre, stellte bis zum Herbstsemester 2020 auf Fernlehre um. Alles änderte sich rasant – eine Tatsache jedoch nicht: Ich bin Künstler.
Nachdem ich mich beruhigte und aufhörte, die Nachrichten zwanghaft zu verfolgen, begann ich meine Kunstbuchsammlung durchzuschauen. Zu lesen, was Kunst, Schönheit, Erhabenheit und Tragik für die größten Denker unserer bekannten Geschichte bedeuteten, war dabei unglaublich bestärkend.
Im Rahmen meines Studiums las ich die Schriften des Deutschen Philosophen Arthur Schopenhauer. Meinem Verständnis zur Folge hatte Schopenhauer eine pessimistische Ansicht gegenüber der Existenz und unserem Verlangen nach Selbsterhalt, welches unser Leid verursache. Wie auch immer, die Kunst, die er forderte, kann für uns eine gute Grundlage darstellen, um über die Ewigkeit nachzudenken. Sie spendet Trost in unserem Leiden, welches von unseren Begierden verursacht wird. Schopenhauer war der Ansicht, Kunst sei das Einzige was uns für einen Moment Erleichterung von unserem Schmerz verschafft.In der Geschichte wurden gemalte Altarbilder oft als tröstende Werke für Menschen gesehen, die unter Krankheiten litten. Das Isenheim Altarbild von Matthias Grünewald ist ein bemerkenswertes und schönes Beispiel für eine andächtige Arbeit der Kunst, die diesem Zweck dient. Es war das zentrale Objekt zur Schaustellung in einem Krankenhaus, das von den Brüdern von St. Anthony errichtet wurde. St. Anthony war der Schutzpatron für diejenigen, die an Hautkrankheiten litten. Die Kranken in diesem Krankenhaus konnten die Leiden von St. Anthony am Altarbild sehen und wussten, dass sie nicht alleine mit ihrem Schmerz waren.

Andere Beispiele für spirituelle Besinnung durch Bilder ist zum einen das unglaubliche Altargemälde von Peter Paul Rubens’s „Christus beruft den Heiligen Roch zum Schutzpatron der Plagen Opfer“ und zum anderen Anthony Van Dyck’s „Heilige Rosalie als Vermittlerin für die Plagebefallenen von Palermo.“ Es wird angenommen, dass der jeweils dargestellte Schutzpatron im Namen seiner Gläubiger handelte. Das ist ein Beispiel dafür, dass Kunsthandwerke als Auslöser beziehungsweise Katalysator für den spirituellen Glauben in Zeiten der Not dienen.

Das Betrachten schöner, kunstvoller Bilder beruhigt mich stets und gibt mir Frieden. Dabei müssen diese nicht zwingend andächtig sein. Obwohl mein persönlicher Zugang zu den ausgestellten Gemälden aufgrund der COVID-19-Pandemie äußerst eingeschränkt ist, kann ich die Werke zumindest in meinen Kunstbüchern oder auf elektronischen Geräten, wie meinem Laptop oder Smartphone, betrachten. Ich persönlich liebe die Künstler William Bouguereau und Jean Leon Gerome für ihre Kompositionen und das Talent, den menschlichen Geist ausdrucksvoll mit ihrer Maltechnik, darzustellen. Das feine violett und gelb in Bouguereau’s Hautfarben erweckt den Künstlergeist in mir und die erfrischenden Darstellungen und leuchtenden Farben von Gerome inspirieren mich.

Traditionelle Kunst, die mit außergewöhnlicher meisterhafter Technik gefertigt, hat etwas Aufmunterndes, wenn wir die Großartigkeit und Schönheit darin bewundern. The Daily Mail schrieb über eine Studie, die verzeichnete, dass in Museen traditionelle Gemälde längere Zeit betrachtet wurden als zeitgenössische Kunst.
Ich möchte etwas von meiner Freizeit nutzen und mir über die nächsten Wochen hinweg traditionelle Kunstwerke, die ich am meisten genieße, sehr genau betrachten, in sie hinein blicken und hinterfragen „Wie hat der Künstler diese Form oder diese Farben geschafft?“ Ebenso um das Äußere zu sehen und zu fragen, „Warum schuf der Künstler die Elemente auf diese Weise?“
Mehr tun, als Kunst nur zu betrachten, ist selbst in einen kreativen Prozess zu gelangen. Das ist das Beste was man in dieser Zeit der Isolation machen kann. Gemäß einem Artikel mit dem Titel „Die heilende Kraft von Kunst“, publiziert von Harvard Medical School, hieß es: „Studien haben gezeigt, dass der Selbstausdruck durch Kunst bei Depressionen, Angst oder Krebs helfen kann. Es zeigte sich, dass künstlerische Betätigung zur Verbesserung von Gedächtnis, Bewusstseinsvermögen und gesundheitlicher Widerstandsfähigkeit älterer Menschen führen kann. Jüngste Untersuchungen haben nahegelegt, dass kreative Aktivitäten effizienter gegen kognitiven Abbau sind, als bloße Würdigung kreativer Arbeit.
Das Betrachten von Kunst ist nur ein Teil des Prozesses – jedenfalls für mich. Ich liebe es Kunst zu erschaffen. Etwas rührt sich in mir, wenn ich mit Stift auf Papier oder mit dem Pinsel über die Leinwand streiche. Während dieser Periode der potenziellen Isolation, frage ich mich selbst, welche kreativen Aktivitäten ich tun kann.
Das Skizzenbuch ist ein wichtiges Utensil für jeden Künstler. Ein Illustrator des 20. Jahrhunderts, Hoard Pyle, schilderte, dass er ungefähr fünfzig Skizzen für eine einzelne Illustration machen würde und meinte: „Auch wenn die erste Skizze so aussieht, wie die eine, dich ich machen möchte – so würde ich, nur um sicher zu gehen, immer die anderen neunundvierzig trotzdem auch machen.“ Skizzieren ist essentiell zum Erkunden und Entwickeln von Ideen. Die „New Masters Academy“ bietet verschiedenste Kurse über Skizzenbücher und das Skizzieren, inklusive „Wasserfarben/Deckfarben Skizzenbücher“ mit Steve Huston und dem „skizzieren von Orten“ mit Glen Vilppu, an.

Da gibt es auch noch die Kraft des Schreibens im Notizbuch, Tagebuch oder Journale. Leonardo Da Vinci hatte Notizbücher und schrieb durchschnittlich drei Seiten pro Tag, von seinem 26. Lebensjahr bis zum Alter von 67 Jahren. Dazu meinte er: “Ich beabsichtige, eine Erinnerung an mich selbst im Gedächtnis der anderen zu hinterlassen”
Ein anderes von Leonardo’s Zitaten, welches mich tief beeindruckt und schwer auf meinen Schultern lastet, sagte er an seinem Sterbebett: „Ich habe Gott und die Menschheit beleidigt, weil meine Arbeit nicht die Qualität erreichte, die sie haben sollte.“
Dies ist eine ehrwürdige Erinnerung, unsere Lebenszeit weise zu nutzen, aufrichtig zu arbeiten und authentisch gegenüber der Realisierung des eigenen künstlerischen Ehrgeizes zu sein. Die Kunst, die ich kreiere, ist nicht nur über mich oder für mich, sie ist auch für die Menschen um mich herum. Seien wir uns ehrlich, für was macht man Kunst, wenn man sie nicht teilt?
Eugene Delacroix hielt ebenfalls seine Lebensereignisse mitsamt seinen Überlegungen und Gedanken über Kunst in einem Notizbuch fest. Bezüglich Schönheit überlegte er: „Von welcher Schönheit willst du sprechen? Da sind Tausende: Es gibt eine für jedes Aussehen, für jeden Geist, adaptiert für jeden Geschmack, für jede einzelne Struktur.“
Dies möchte ich mir als Anlass nehmen um herauszufinden, was ich unter Schönheit verstehe. Vielleicht, wenn ich ausreichend ehrlich und offen mit mir selbst bin, werde ich feststellen, dass mein Verständnis von Schönheit nicht so absolut ist, wie ich einst angenommen habe.
In dieser Krise fühlen wir, dass wir sehr isoliert voneinander sind, doch gerade dieser Aspekt ist uns allen gemein und vereint uns auch. Obwohl ich nicht feststellen kann, wie mich diese Pandemie physisch beeinflussen wird, kann ich jedoch entscheiden, wie ich spirituell und emotional darauf reagiere. Ich werde das Lesen fortsetzen, studieren, Kunst erschaffen und meine positive Lebenseinstellung teilen.
Ich werde die Philosophie der Natur der Schönheit studieren und ihre subjektiven Effekte recherchieren. Ich werde mich in der Kraft des Betrachtens von Kunst üben und den technischen und spirituellen Standpunkt der Werke berücksichtigen. Ich werde Ideen in meinen Skizzenbüchern für spätere Werke entwerfen und Ideen und Gedichte in einem Notizbuch oder Laptop festhalten.
Schopenhauer war auf einem guten Weg als er vorschlug, dass Kunst eine Möglichkeit für uns bietet, über unser Leid hinauszugehen.
Den englischen Originalartikel finden Sie hier.
Über den Autor: Eric Bess ist Kunstprofessor an der Universität Wittenberg, Doktorand in Kunsttheorie am Institute For Doctoral Studies In the Visual Arts (IDSVA), professioneller Ölmaler und Tätowierlehrling.
Wir wünschen auch unseren Lesern in dieser herausfordernden Zeit, dass sie durch das Betrachten oder Schaffen von Kunst das Schöne im Leben wieder stärker sehen können und die Kunst als Tröster und Wegbegleiter auf diese ungewisse Reise mitnehmen.