
Schon der berühmte Arzt Paracelsus sagte: „Gott hat für jede Krankheit eine Pflanze wachsen lassen.“ Mit dem Einjährigen Beifuß wird nun erstmals eine Arzneipflanze als Wirkstoff gegen COVID-19 in klinischen Studien untersucht. Aber auch andere traditionelle Heilpflanzen kommen weltweit gegen Covid-19 zum Einsatz.
Der Einjährige Beifuß, oder mit wissenschaftlichem Namen Artemisia annua, wird aktuell als erste Arzneipflanze auf seine antivirale Wirkung gegen SARS-CoV-2 getestet. Der Wirkstoff Artemisinin der jahrtausendealten Heilpflanze ist bereits gegen Malaria zugelassen und zeigte auch 2003 gegen SARS Wirkung.
Die aktuelle Pandemie brachte die Heilpflanze wieder in den Fokus der Forscher, nachdem sie in Madagaskar für COVID-19 Infizierte als Teezubereitung gegeben wurde. Der Präsident von Madagaskar, Andry Rajoelina, berichtete von vielversprechenden Behandlungserfolgen.
In Madagaskar gilt die Pflanze als traditionelles Heilmittel und wird meist gemeinsam mit dem Lorbeergewächs Ravensara aromatica als flüssiger Pflanzenextrakt genutzt. Dabei kann der Extrakt bereits fertig im Getränk oder als Trockenpulver zum selbst aufgießen erworben werden. Auch andere afrikanische Länder, wie der Kongo oder Tansania haben Lieferungen des Pflanzengemisches bestellt.
„Wenn man sich die Ähnlichkeit zwischen den beiden Viren anschaut [Anm. d. Red.: SARS-CoV-1 und SARS-CoV-2], müssen diese Pflanzenextrakte und Artemisinin-Derivate gegen das neuartige Coronavirus getestet werden, was diese internationale Zusammenarbeit nun ermöglicht“, sagt der Chemiker Professor Peter Seeberger vom Max-Planck-Institut in einer Pressemitteilung.
Artemisia annua als traditionelle Heilpflanze und als Hilfe, wenn „eine andere Welt greifbar nah“ kam
Der Einjährige Beifuß wird in der traditionellen chinesischen Medizin schon seit Jahrtausenden als Heilpflanze eingesetzt. Der Korbblütler hilft dabei gegen Infektionen, Verdauungsstörungen und Fieber.
Auch in westlichen Kulturen ist Artemisia annua eine bekannte und sagenumwobene Heilpflanze. In der traditionellen Heilkunst wird die Arzneipflanze, welches nach der Göttin Artemis benannt wurde, die die Göttin der Jagd, der Geburt und Hüterin der Frauen und Kinder ist, für Frauenleiden eigesetzt. Hildegard von Bingen beschrieb die wärmende und entkrampfende Wirkung auf Gebärmutter und Unterleib bei Geburten und bereits in den Jahrhunderten vor Christus wurde der Einjährige Beifuß bei Durchblutungsstörungen und gegen Keime eingesetzt.
Seit der Antike werden Artemisia annua auch mystische Kräfte zugeschrieben. Es galt unter anderem als „Dämonvertreiber“ und kam dann zum Einsatz, wenn den Menschen „eine andere Welt greifbar nah“ kam. Man benutzte es bei Weihen von Priestern oder Schamanen, um Böses aus anderen Dimensionen fernzuhalten oder bei Ritualien bei denen Jugendliche zu Erwachsenen wurden, damit der Übergang unbeschadet gelang.
Für die Germanen war Artemisia annua, die bei ihnen als Mugwurz (Machtwurz) bezeichnet wurde, die mächtigste aller Heilpflanzen. Nach einem alten germanischen Brauch sollen sich Menschen einen aus Beifuß geflochtenen Gürtel umgelegt haben und tanzten damit zur Sonnwende um das Feuer. Anschließend wurde der Gürtel im Sonnwendfeuer verbrannt. Damit würde man die bösen Geister, die für Krankheit verantwortlich sind, milde stimmen und das ganze Jahr vor Krankheit geschützt sein.
Artemisia annua im Einsatz gegen Malaria und SARS
In den 1970er Jahren erkannte man, dass Artemisinin, ein Wirkstoff der Pflanze, gegen Malaria wirkt. Artemisinin kommt in den Blättern und Blüten der Pflanze vor. Seit 2002 wird es als Mittel gegen Malaria von der WHO anerkannt. 2015 erhielt die chinesische Forscherin Professorin Youyou Tu den Medizinnobelpreis für die im Jahr 1975 gemachte Entdeckung.
Artemisinin ist ein sekundärer Pflanzenstoff, der traditionell durch Extraktion aus Artemisia annua gewonnen wird. Der genaue Wirkmechanismus der Substanz ist bisher noch nicht erforscht. Eine Hypothese lautet, dass die Peroxidstruktur des Pflanzenstoffes in Gegenwart von Eisenionen instabil wird. Durch die Reaktion der beiden Verbindungen bilden sich freie Radikale. Plasmodien, Viren und Bakterien benötigen alle mehr Eisenionen als menschliche Zellen, wodurch Artemisinin möglicherweise spezifisch gegen die Erreger im Körper wirken kann.
Die Extrakte aus Artemisia annua haben eine geringe Toxizität und kommen im Zuge einer Malariatherapie sogar bei Neugeborenen zum Einsatz.
Weitere traditionelle Heilpflanzen im Einsatz gegen COVID-19
Auch andere Länder setzten in der aktuellen Pandemie traditionelle Heilpflanzen ein.
In Bolivien gab der stellvertretende Minister für traditionelle Medizin, Felipe Qilla Muni, bekannt, dass Dämpfe aus Eukalyptus und Kamille zur Behandlung von COVID-19 eingesetzt werden. Zahlreiche Dampfkabinen wurden laut der PZ (Pharmazeutische Zeitung) in der Nähe von Krankenhäusern aufgestellt.
Menschen in Indonesien und Sri Lanka stärken mit Ingwer und Kurkuma ihr Immunsystem, was auch in Indien vom Ayuveda-Ministerium empfohlen wird. Dort wird zum Beispiel die traditionelle Goldene Milch, die aus Ingwer und Kurkuma, Zimt und schwarzen Pfeffer besteht, zur Vorbeugung von Viruserkrankungen empfohlen.
Auch in China wurden Ärzte der traditionellen chinesischen Medizin seit Ende Jänner nach Wuhan, in das Epizentrum des Virusausbruchs, geschickt, um die dortigen Krankenhäuser zu unterstützen. Dabei werden Rezepte aus mehreren verschiedenen Pflanzen angwendet. Ein typisches TCM-Rezeptzur Prävention von Lungenentzündungen enthält beispielsweise Komponenten wie Radix Astragali, (Mongolischer Tragant), Rhizoma Atractylodis Macrocephalae(Speichelkrautwurzel) oder Radix Saposhnikoviae (Windschutzwurzel).
Missverständnisse über Pflanzliche Arzneien
Die Wirkung von Pflanzliche Arzneimittel wird jedoch auch immer wieder hinterfragt. Dabei werden sie oftmals fälschlich als Alternativmedizin bezeichnet und Heilpflanzen werden mit homöopathischen Mitteln oder Bachblüten gleichgesetzt, wie die Zeit berichtet. Dies ist jedoch ein Missverständnis. Das Fach der Heilpflanzen oder Pharmakognosie, ist nicht nur traditionelles Wissen, sondern auch ein aktueller Teil der pharmazeutischen Wissenschaften.
Die Wirksamkeit verschiedener pflanzlicher Wirkstoffe wurde auch in klinischen Studien bestätigt. Pflanzliche Arzneien sind auch nicht immer unbedenklich und auf Einnahme und Dosierung muss ebenso wie bei einem synthetisch hergestelltem Medikament geachtet werden.
Ein weiteres häufiges Missverständnis ist, dass synthetisch hergestellte Wirkstoffe ganz anders seien als natürliche, aus Pflanzen gewonnene Substanzen. Sehr viele der heutigen Medikamente sind aus Naturstoffen abgeleitet oder auf ihrer Basis entwickelt worden. Eines der bekanntesten Beispiele dazu ist Acetylsalicylsäure, der Wirkstoff von Aspirin. Dieser ist von dem salicylhältigen Rosengewächs Filipendula ulmaria, oder echtes Mädesüß beziehungsweise Spierstaude, nachgebaut.
Während die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Einsatz von traditionellen Heilpflanzen in der aktuellen Pandemie zwar unterstütz, raten sie gleichzeitig zur Vorsicht. Auch bei traditioneller Medizin und Praktik müsse „die Wirksamkeit und Sicherheit durch rigorose klinische Studien“ getestet werden, heißt es von Seiten der WHO.
Erste Ergebnisse der Studie von Artemisia annua gegen das neuartige Coronavirus werden für Ende Mai oder Anfang Juni erwartet.