
Heutzutage kennt man Pythagoras von Samos hauptsächlich von der Berechnung von Dreiecken. Jedoch gäbe es über den „ersten Philosophen“ noch wesentlich mehr Interessantes zu erzählen. Denn abgesehen davon, dass er Mathematiker und Gelehrter war, soll Pythagoras auch den Begriff „Kosmos“ geprägt haben und war zu Lebzeiten eigentlich hauptsächlich wegen seiner spirituellen Lehren bekannt.
Von Pythagoras von Samos, der 570 vor Christus in Metapont, einer griechischen Kolonie, geboren wurde, gibt es wenige Aufzeichnungen. Von seinen eigenen Schriften scheint keine Einzige die Zeit überdauert zu haben. Jedoch gibt es verschiedene Überlieferungen von anderen Zeitgenossen und den Pythagoreern. Dies war die Bezeichnung der Anhänger von Pythagoras, die seiner Lehre folgten und noch einige Jahrzehnte nach seinem Tod fortbestanden, bevor es zu ihrer Verfolgung und schließlich Auslöschung kam.
Der erste Philosoph
Laut Überlieferungen soll Pythagoras am Hofe von Leon, dem Tyrann der antiken Stadt Philus, gewesen sein. Leon wollte Pythagoras den Titel eines Weisen (griechisch: sophós) verleihen. Pythagoras lehnte diesen Titel jedoch ab und soll geantwortet haben:
„Gott allein ist weise. Ich bin nur ein Liebhaber (philó) der Weisheit (sophós).“
So soll er 518 v. Chr. erstmals den heute gängigen Begriff „Philosoph“ geprägt haben. Als Leon ihn fragte, was der Unterschied zwischen einem Menschen und einem Philosophen sei, soll Pythagoras mit einer Anlehnung an die Olympischen Spiele in Griechenland geantwortet haben:
„Denn wie in diesen Spielen gibt es einige Personen, die mit dem Ziele der Glorie und die Ehre einer Krone […] kommen, es gibt auch welche die kommen, um am großen Markt vor den Spielen Produkte zu verkaufen oder zu kaufen und so Gewinne erzielen wollen. Aber es gab auch eine Klasse von Personen, und sie waren bei weitem die besten, deren Ziel weder Applaus noch Profit war, sondern die nur als Zuschauer, aus Neugier kamen, um zu beobachten, was getan wurde und um zu sehen, wie die Dinge weitergeführt wurden. Und genauso kommen wir aus einem anderen Leben und einer anderen Natur zu diesem (Leben), so wie Menschen aus einer anderen Stadt kommen, zu einem viel frequentierten Markt; einige sind Sklaven des Ruhms, andere des Geldes; und es gibt einige wenige, die, ohne etwas anderes zu berücksichtigen, ernsthaft die Natur der Dinge untersuchen; und diese Männer nennen sich weisheitslustig, das heißt Philosophen. Und dabei ist es in Wirklichkeit die seriöseste Beschäftigung von allen, zuzuschauen, ohne etwas zu erwerben, sich im Leben den kontemplativen Dingen zu widmen und sich mit ihnen vertraut zu machen, übertrifft jedes andere Streben nach Leben bei weitem.”
Der hier verwendete deutsche Begriff „Kontemplation“ kommt von contemplatio und entspricht ungefähr dem griechischen Wort ϑεωρία (theōría). Es hat die Bedeutung, dass man sich in ein geistiges Thema vertieft, um darüber eine Erkenntnis zu gewinnen. Im spirituellen Kontext ist damit oftmals gemeint, über Gott, das göttliche Wirken und die Zusammenhänge nachzudenken.
Mehr als nur Dreiecke: Pythagoras Verständnis über den Kosmos
Der „Satz des Pythagoras“ hat Einzug in die allgemeine Schulbildung gefunden. Wie jeder gelernt hat, besagt dieser, dass in einem rechtwinkligen Dreieck die Summe der Quadrate der Katheten genauso groß ist wie das Quadrat der Hypotenuse oder kurz gesagt: a²+b²=c²
Jedoch, was heute als wichtig erachtet wird, wurde damals bei Weitem nicht zu seinen bedeutendsten Erkenntnissen gezählt. Vielmehr war Pythagoras zu Lebzeiten für sein spirituelles Verständnis bekannt und einige Historiker sprechen sogar davon, dass er eigentlich hauptsächlich ein religiöser Prediger war.
Dennoch war die Lehre der Mathematik für Pythagoras ein wichtiger Teil davon. Mathematik galt damals als die Wissenschaft schlechthin. Die Studierenden wurden „Mathematiker“ genannt. Dieser Begriff umfasste viel mehr als heute. „Mathesis“ heißt eigentlich „Wissen“ und galt als der Weg zur Weisheit.

Die Übereinstimmung zwischen Mikro- und Makrokosmos, zwischen Mensch und Kosmos, zeigte sich für Pythagoras anhand von Übereinstimmungen mathematischer Verhältnisse in verschiedenen Bereichen der Schöpfung.
Gott ist einer; er ist aber nicht … außerhalb des Universums, sondern in ihm, als Aufseher über alles Werden und alles durchdringend ewig seiend…
Pythagoras
Für Pytagoras hatte die Zahl eine zentrale Rolle in seiner Lehre, da sie für ihn das eigentliche Geheimnis und die Bausteine der Welt beinhalteten. Jede Zahl von 1 bis 10 hat laut Pythagoras ihre eigene Kraft und Bedeutung. Die Harmonie der Welt beruht darauf, dass alles in ihr nach genauen Zahlenverhältnissen geordnet ist. Pythagoras verwendete um diesen Zustand zu beschreiben als Erster den Begriff „Kosmos“ (griechisch: Ordnung, Weltordnung).
Besonders wichtig war für Pythagoras die Zahl Zehn, die er als „mystische Dekade“ bezeichnete. Die grundlegende Formel der pythagoreischen Zahlenreihe also die ersten vier natürlichen Zahlen und ihre Summe: 1 + 2 + 3 + 4 = 10 wird auch Tetraktys genannt. Grafisch wird sie als gleichschenkliges Dreieck aus zehn Punkten dargestellt und ist damit eine perfekte Pyramide. Die Tetraktys symbolisiert laut Pythagoras den Schlüssel zur Erkenntnis der Natur, des Universums und des Göttlichen Selbst.
„Die Weisen lehren, dass Himmel und Erde, Götter und Menschen als ein Gemeinsames zusammengehalten werden mit Freundschaft, Ordnungssinn, Mäßigkeit und Gerechtigkeit, und darum nennen sie das Ganze Kosmos (d. h. Ordnung).“, schrieb Platon, der ein kleines Vermögen für ein Manuskript von Pythagoras ausgegeben hatte.
Als „Manifestation einer göttlichen Weltlenkung“ betrachteten die Anhänger Pythagoras` diese Ordnung oder Harmonie speziell in den gleichmäßigen Kreisbewegungen der Himmelskörper. Pythagoras schien davon auszugehen, dass es eine „zwangsläufige ewige Wiederkunft aller irdischen Verhältnisse entsprechend der zyklischen Natur der Gestirnbewegungen“ gebe. Wenn alle Planeten nach Ablauf einer sehr langen kosmischen Periode, des „Großen Jahres“, ihre Ausgangsstellung wieder erreicht haben, beginnt nach seinem Verständnis die Weltgeschichte von Neuem. Diese Vorstellung griffen später auch die Stoiker immer wieder auf.
Harmonie in allem ist das Ziel, dem der Mensch eifrig nachstreben soll. Wie im Weltall, so soll die Harmonie auch im Menschen gleichsam einer Welt im Kleinen vorhanden sein.
Pythagoras
Seelenwanderung
Ein weiterer Punkt, der in der Lehre Pythagoras enthalten war, ist die „Seelenwanderung“. Er soll von einer unsterblichen Seele und der Wiedergeburt überzeugt gewesen sein. Es gibt Überlieferungen, nach denen er sich selbst an einige seiner Inkarnationen erinnert haben soll. Eine davon soll der trojanische Krieger Euphoros gewesen sein, dessen Schild er als sein Ehemaliges erkannt haben soll.
Ebenfalls bekannt war, dass er selbst und seine Anhänger kein Fleisch aßen, da er sagte, dass auch Tiere eine Seele haben. Er verurteilte auch die zur damaligen Zeit üblichen Tieropfer und setzte sich für die „Erhaltung von Beseelten“ ein, da er überzeugt war, dass die Seele von Gott gegeben sei.
Vergiss, wenn du vergesslich bist,
Vor allen Dingen nicht,
O Mensch, dass eine Seele dir
Von Gott gegeben ist!
Pythagoras
Der Geheimbund der Pythagoreer
Die Anhänger von Pythagoras lebten laut Überlieferungen nach strengen Geboten. Sie durften kein Fleisch essen, keinen Wein trinken und keine wollene Kleidung tragen. Außerdem mussten sie sich von all ihrem Besitz trennen. Ob dies allerdings wirklich im materiellen Sinn gemeint war, ist umstritten, da später auch vermutet wurde, dass reiche und einflussreiche Bürger Mitglieder der Pythagoreer waren. Zudem wird auch erwähnt, dass sich die Pythagoreer „nicht vom gesellschaftlichen Leben trennten.“
Mäßigkeit macht die Seele stark, Selbstbeherrschung erleuchtet sie.
Pythagoras
Ein großes Ziel des Bundes galt, den „Aufbau der Welt zu ergründen und die Geheimnisse der Natur zu entschleiern“. Allerdings war eine weitere Regel, dass Außenstehende nichts über die Gemeinschaft und die Lehre wissen durften.
Aus diesem Grund ist nicht allzu viel über die weiteren Erkenntnisse der Pythagoreer bekannt. Allerdings wird Pythagoras in mehreren Quellen sehr positiv beschrieben. Er soll als jemand gegolten haben, der „dem Sittenverderbnis seiner Zeit kraftvoll entgegentrat und durch sein Vorbild und seine Beredsamkeit die Tugenden erneuerte“. Ovid, einer der bedeutendsten römischen Dichter, beschrieb in seinen Metamorphosen „die Weisheit und Güte“ von Pythagoras. Er galt als „Urbild eines edlen Weisheitslehrers und Wohltäters “ und sogar die späteren Christen in Rom äußerten ihm gegen über ihre Hochachtung. Pythagoras inspirierte unter anderem die Philosophen Demokrit, Platon und Herodot.
Je mehr aber unser Geist versteht, desto seliger sind wir.
Pythagoras
Der weiseste Grieche
Im späten 4. Jahrhundert erhielten die Römer vom Orakel von Delphi, das laut dem Glauben der Griechen Eingebungen von dem Gott Apollo bekam, folgende Aufgabe: Sie sollten ein Abbild des tapfersten und eines des weisesten Griechen aufstellen. Nach kurzer Überlegung errichteten sie auf dem Comitium, dem wichtigsten Versammlungsort der Politik in Rom, eine Statue des Feldherrn Alkibiades und eine von Pythagoras.

Plinius der Ältere, der davon in seinen Schriften berichtete, zeigte sich erstaunt, dass die Römer Pythagoras sogar mehr schätzten als Sokrates. Cicero soll damals auf die gewaltige, lang anhaltende Autorität von Pythagoras in Italien hingewiesen haben.
Es gab Gerüchte, dass der sagenumwobene und für seine Weisheit gelobte zweite römische König, Numa Pompilius, selbst Pythagoreer war. Allerdings wird dies von Historikern als kritisch gesehen, da sie davon ausgehen, dass Numa Pompilius – sollte es ihn gegeben haben- schon vor Pythagoras regiert hatte.
Echte Gefahr oder politische Verfolgung? – Das Ende der Pythagoreer
Allerdings sollen sich Pythagoras und seine Anhänger nicht nur Freunde gemacht haben. Beispielsweise wurde er von seinem Zeitgenossen Heraklit als „Oberschwindler“ bezeichnet und auch der in Italien tätige Philosoph Xenophanes kritisierte Pythagoras. In mehreren Berichten wird erwähnt, dass er und die Pythagoreer Unmut wegen „politischer Einflussnahme“ hervorriefen.
Es gibt Aufzeichnungen, nach denen Pythagoras in der Stadt Kroton, wo er lange lebte, seine Ansichten im Stadtrat und in Volksversammlungen geltend machte. Dabei soll er großteils erfolgreich gewesen sein. Überliefert sind einige Ausschnitte, in denen er sein Tugendideal erläutert haben soll und dabei vier Texte an die Bevölkerung gerichtet hat. Einen an den Rat der Stadt, einen an die jungen Männer, einen an die Knaben und einen an die Frauen. Angeblich habe man Teile davon in die Verfassung der Stadt aufgenommen, was ihm und seinen Anhängern politische Feinde einbrachte.
Ein weiterer Vorfall ist bekannt, in dem Pythagoras in politische Entscheidungen eingegriffen haben soll: Er soll den Krotoniaten geraten haben, die Flüchtlinge aus Sybaris nicht an diese Stadt auszuliefern, sondern den Krieg in Kauf zu nehmen. Dieser Krieg endete mit dem Sieg Krotons und der Eroberung von Sybaris.
Diese Einflussnahme brachte ihm viel Kritik der Opposition ein. Schließlich verlies Pythagoras Kroton und kehrte in seinen Geburtsort Metapont zurück.
Die Hintergründe der Feindseligkeiten sind historisch nicht ganz geklärt. Laut mehreren Aufzeichnungen sollen Neid und Missgunst der politischen Gegner eine Rolle gespielt haben. Generell sollen die Pythagoreer auf der Seite der „Aristokratie“ gestanden haben und ihre Politik war „entsprechend ihrem generellen Harmonie-Ideal konservativ und auf Stabilität bedacht“.
Dadurch stand ihnen der traditionelle Rat dominierend aus Adelsgeschlechtern wohlwollend gegenüber. Jedoch wurde Pythagoras zum Feindbild der Volksredner, welche dem Volk die „vollständige Demokratie durch Umsturz“ zusichern wollten.
Nach dem Tod von Pythagoras wurde die politische Kritik an den Pythagoreern härter. Schließlich wurde Pythagoras vorgeworfen, dass er und seine hinterbliebenen Anhänger eine „Tyrannis“ angestrebt hätten. Andere Quellen behaupten, dass diese Aussagen dazu dienten, den immer größer werdenden Einfluss der Pythagoreer einzudämmen. Schließlich kam es Mitte des 5. Jahrhunderts zu blutigen Auseinandersetzungen, die damit endeten, dass ein Großteil der Pythagoreer getötet wurden und der Rest vertrieben wurde.
Heute sind hauptsächlich Pythagoras´ mathematischen Leistungen bekannt und der „Satz des Pythagoras“ gilt als eine der wichtigsten Formeln im Mathematikunterricht. Ob das der „Satz“ ist, für den Pythagoras in die Geschichte eingehen wollte, bleibt fraglich. Laut Pythagoras war dieses schulische Wissen nämlich gar nicht so wichtig, sondern bedeutungslos ohne ein gutes Herz:
„Und hättest du den Geist Apollos und Homers,
Und nicht ein gutes Herz, was wär’s?“
Pythagoras
Weitere Quellen:
https://homodivinans.files.wordpress.com/2014/01/pythagoras.pdf