
Nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder verbringen immer mehr Zeit vor Bildschirmen unterschiedlichster Art. Langzeitauswirkungen für die Entwicklung von Gehirnstruktur und mentale Entwicklung wurden erstmals in einer großangelegten Studie untersucht. Auswertungen von Gehirnscans der ersten 4500 Studienteilnehmer, die über zehn Jahre lang begleitet wurden, zeigen, dass die Hirnrinde jener Kinder, die täglich über sieben Stunden auf Bildschirme (Smartphone, Tablet, Kindercomputer etc.) schauen, eine wesentlich dünnere Struktur aufweise, als bei gleichaltrigen. Auswirkungen und Folgen für die Zukunft sind zum derzeitigen Wissensstand unvorhersehbar.
Die großangelegte 300 Millionen Dollar Studie des National Institute of Health (NHI), einem Forschungsinstitut für Gesundheit in Maryland, begleitete über zehn Jahre lang 11.000 Kinder mit unterschiedlichen Verhalten, in Bezug auf neue Technologien. Dabei wurden Gehirnscans in regelmäßigen Abständen durchgeführt und mit den Stunden korreliert, die die Kinder mit Fernseher, Smartpone, Tablet und Co verbrachten. Beurteilt werden die Gehirnstruktur, emotionale Entwicklung und mentale Gesundheit der Kinder. Die Ergebnisse der ersten 4500 Kinder sind ausgewertet und zeigen alarmierendes:
Kleinkinder, die viel Zeit vor Bildschirmen verbringen, zeigen eine vorzeitige Verdünnung der Hirnrinde. Die Hirnrinde ist die äußerste Schicht des Gehirns und dafür verantwortlich, Reize, die über die fünf Sinne wahrgenommen werden, zu verarbeiten.
Die Verdünnung der Hirnrinde ist normalerweise ein wesentlich langsamerer Entwicklungsprozess des menschlichen Gehirns. Welche Auswirkungen diese unnatürliche Beschleunigung für die Entwicklung der Kinder hat, ist noch nicht absehbar. Dr. Dowling, eine der leitenden Wissenschaftler der Studie, sagt: „Einige Fragen werden wir in ein paar Jahren beantworten können. Einige wirklich interessante Fragen werden wir erst an den Langzeit-Auswirkungen sehen.“
Allerdings lässt sich aus den ersten Ergebnissen der NIH Studie bereits ableiten, dass Kinder, die zwei Stunden oder mehr pro Tag vor dem Bildschirm verbringen, niedrigere Ergebnisse bei Logik- und Sprachtests erzielen konnten, als Kinder, die weniger Zeit mit digitalen Medien verbringen.
Die Wartezeit auf Ergebnisse der Langzeit-Auswirkungen bereitet jedoch vielen Forschern, die sich mit der Auswirkung von neuen Technologien auf Kleinkinder spezialisiert haben, Sorgen. Dr. Dimittri Christakis, Arzt in einem renommierten Kinderkrankenhaus in Seattle, sagt in einem Interview mit CBS News: “„Die Befürchtung, die viele Wissenschaftler, inklusive mir haben, ist, dass wir uns quasi mitten in einem natürlichen, völlig unkontrollierten Experiment mit der nächsten Generation an Kindern befinden.“

Dr. Christakis fungiert zudem als Hauptautor des Expertenteams für die aktuellen medizinischen Richtlinien der American Academy of Pediatrics für die Zeit von Kindern vor Monitoren. Seit den neuen Studienergebnissen lautet ihre Empfehlung für Eltern „vollständig auf die Benutzung von digitalen Medien (mit Ausnahme von Video Chat) für Kinder, die jünger als 18-24 Monate sind, zu verzichten.“
Auch von sogenannten digitalen “Kinderlernprogrammen” und ähnlichem, rät er ab. „Wir wissen, dass wenn Babys mit iPads spielen, können sie, was sie gelernt haben nicht auf die reale Welt umlegen. Zum Beispiel, wenn man einem Kind mit einer App spielen lässt, wo man virtuell Lego bauen kann und ihnen dann echte Lego-Steine gibt, müssen sie mit dem Lernen von vorne beginnen.“
Der Hauptgrund liegt darin, dass der Mensch generell, aber Kinder besonders, Schwierigkeiten haben, zweidimensionales Wissen in dreidimensionales Verständnis zu übersetzten.
Grundstein der Sucht nach Smartphones etc. bereits bei Babys gelegt?
Bei einer kleinen Pilotstudie mit 15 Kindern unter der Aufsicht von Dr. Christakis, zeigte sich, dass digitale Spielsachen andere Reaktionen bei Kindern hervorrufen, als „reale“ Spielsachen. Dabei gaben Wissenschaftler den Kleinkindern drei Spielsachen: eine traditionelle Spielzeug-Gitarre, ein iPad, das Musik spielte und ein iPad mit einer App, die je nach Knopfdruck Licht, Farben und Geräusche wiedergibt.
Nach einiger Zeit verlangten die Forscher das Spielzeug von den Kindern zurück. In 66 % der Fälle gaben die Kinder das traditionelle Spielzeug problemlos zurück. Bei „digitalen” Spielzeugen passierte dies nur noch zu 40 %, wobei, je mehr Effekte das iPad zeigte (Licht, Farbe und Geräusche), desto weniger waren die Kinder bereit, das Spielzeug zurückzugeben.
Trisan Harris, Gründer von Center for Human Technology, will die Menschen zum Nachdenken bewegen: „Hier geht es um einen Kampf um Aufmerksamkeit und wo dies unsere Gesellschaft und Technlogie hinführt. Die Frage ist, wollen wir, dass dieser Kampf unsere Kinder beeinflusst?“

Für Dr. Jean Twenge, Phsychologin, die sich auf Generationsunterschiede und Entwicklungsgeschwindigkeit spezialisiert hat, ist die Vorbildwirkung von Erwachsenen auf Kinder ein wesentlicher Faktor. Um Kindern einen vernünftigen Umgang mit den neuen Technologien zu lernen, müssen Erwachsene selbst Smartphones etc. in die richtige Perspektive setzten.
„Smartphones sind toll und ein wundervolles Stück Technologie. Sie helfen uns bei der Orientierung und um den Wetterbericht nachzuschauen und solche Dinge. Wenn man es für eine halbe Stunde oder eine Stunde am Tag benutzt, ist es in Ordnung. Kein Problem. Dann benutzt man es wofür es gut ist. Aber wenn man es benutzt hat, wofür es gut ist, muss man es weglegen. Man darf nicht vergessen, es ist ein Werkzeug, das der Mensch benutzen soll, kein Werkzeug, das den Menschen kontrollieren darf.“
Während die endgültige Auswertung der NHI Studie inklusive den restlichen 6500 untersuchten Kindern abzuwarten bleibt, ergeben die ersten Ergebnisse nicht nur, dass der Umgang mit neuen Medien verantwortungsvoller werden muss, sondern für Kleinkinder in dieser entscheidenden Entwicklungsphase vollkommen vermieden werden sollte.
„Wenn wir damit weitermachen unsere Technologie ohne Weisheit und Besonnenheit zu entwickeln, wird unser Diener zu unserem Henker werden.“
Omar Bardley, amerikanischer General im zweiten Weltkrieg.