
Neuropathische Schmerzen – also Nervenschmerzen – und andere chronische Schmerzerkrankungen stellen eine besondere Herausforderung innerhalb der Medizin dar. Denn wenn Nerven zu schmerzen beginnen, heißt es bald aus medizinischer Sicht: aus-therapiert. Forscher aus Stockholm könnten nun aber durch die Entdeckung von einem bisher unbekannten Netzwerk von Nervenzellen einen neuen Ansatz in der Schmerztherapie offenlegen.

Deutschland leidet: Inzwischen leiden 10 – 20 Prozent der Bevölkerung an chronischen Schmerzen, was in Zahlen immerhin rund 8 bis 16 Millionen Bürger sind. Ungefähr 35 Prozent der Schmerzerkrankungen haben eine neuropathische Komponente. Vorrangig sind davon Schlaganfallpatienten, MS-Patienten und Diabetiker betroffen, aber auch Tumorerkrankungen, Rückenmarksverletzungen und Amputationen können Nervenschmerzen auslösen. Die Diagnose ist oftmals mit einem Ärztemarathon verbunden, wobei mehr als 40 Prozent der Betroffenen erst nach einem Jahr die eigentliche Diagnose erhalten.
Entdeckung eines neuen Organs
Die schwedische Studie “Specialized cutaneous Schwann cells initiate pain sensation” weckt die Hoffnung für neue Behandlungsmethoden bei Erkrankungen wie Polyneuropathie. Die bisherige Annahme wie Schmerzweiterleitung funktioniert, wird dabei kritisch hinterfragt. Bisher wurden allein die freien Nervenendigungen in der oberen Hautschicht, sogenannte Nozizeptoren, als entscheidende Signalgeber bei schmerzhaften Reizen definiert. Das Forschungsergebnis vom „Karolinska Institut” in Stockholm zeigt erstmals, dass bestimmte Gliazellen, welche die Nervenzellen umkleiden, aber ebenfalls Schmerzreize ans Gehirn weiterleiten. Diese Schwann – Zellen bilden untereinander und mit Nervenzellen unter der Haut ein so dichtes und großflächiges Netzwerk, dass die Wissenschaftler sogar von einem neuen „Organ“ sprechen.
Die Mediziner blockierten bei Versuchen mit Mäusen die Schmerzweiterleitung über dieses neu entdeckte „Organ“, wodurch die Schmerzschwelle eindeutig angehoben werden konnte. Dies könnte also einen Paradigmenwechsel bei der Behandlung von Nervenschmerzen bedeuten und den Beginn zur Erforschung neuer Medikamente ebnen.
Patrik Ernfors, leitender Prüfarzt der Studie, meint: „Unsere Studie zeigt, dass Schmerzempfindlichkeit nicht nur in den Nervenfasern der Haut, sondern auch im neu entdeckten Organ auftritt. Die Entdeckung verändert unser Verständnis über zelluläre Mechanismen der körperlichen Empfindung und kann für das Verständnis chronischer Schmerzen von Bedeutung sein“.
Bei Menschen wurden diese Zellen in der Dermis (mittlere Hautschicht) zwar bisher noch nicht nachgewiesen, jedoch erscheint die Existenz sehr wahrscheinlich, so die Forscher. Diese Erkenntnisse könnten neue Wege für die Behandlung von Schmerzen bedeuten. Die Studie wurde am 16. August im „Science“-Magazin veröffentlicht.

Die bisherigen Therapieansätze
Medikamentöse Ansätze zur Behandlung chronischer Schmerzen und Nervenschmerzen sind vielseitig und individuell auf den Erkrankten abgestimmt. Meist sind es Kombination aus verschiedenen Medikationen, die geschluckt, geschmiert, geklebt oder gespritzt werden. In besonderen Fällen werden auch Nervenblockaden oder Infiltrationen vorgenommen.
Weitere Therapieansätze unterliegen oftmals dem Wunsch die freiliegenden Nervenenden schnellstmöglich regenerieren zu lassen, beispielsweise durch Stromtherapie. Das elektrische Feld aktiviert unter anderem das Wachstum und die Funktion von Nervenzellen (Neuronen) und beeinflusst dabei zusätzlich die Wirksamkeit der Arzneimittel, indem es deren Weiterleitung zum Wirkungsort fördert.
Die Behandlung bei Nervenschmerzen ist derzeit also nur eine Schmerzlinderung, denn die Schmerzfreiheit kann nach einer gewissen Dauer von Schmerzen medikamentös nicht mehr erreicht werden.
Schmerzen und die Psyche

Chronische Schmerzen beeinflussen Körper und Psyche. Die Präsenz ständiger Schmerzen reduziert das seelische Wohlbefinden und die Lebensqualität. Die Dauer eines solchen Zustandes ist entscheidend. Je länger Betroffene den Schmerzreizen ausgesetzt sind, desto stärker manifestiert sich auch die negative Empfindung in seinem Bewusstsein. Es entwickelt sich ein sogenanntes Schmerzgedächtnis, welches schwer bis kaum therapierbar ist.
Depressionen sind oft als Folge unvermeidlich, welche sich auch auf das soziale Umfeld auswirken. Schmerzpatienten leben daher oft zurückgezogen und fühlen sich von der Gesellschaft also auch von den Ärzten allein gelassen.