Müllabfuhr im Schlaf – das glymphatische System

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Müllabfuhr im Schlaf – das glymphatische System

Im Schlaf reinigt sich unser Gehirn von biochemischen Abfallprodukten. (Bild: iStock 1184108281/evgenyatamanenko)

Unser Körper arbeitet rund um die Uhr auf Hochtouren, um die notwendigen Lebensprozesse aufrecht zu halten. Im Rahmen des Stoffwechsels fallen auch viele Abfallprodukte an, welche effizient abtransportiert werden müssen. Das erst in jüngster Zeit entdeckte gylmphathische System des Gehirns fungiert quasi als Müllabfuhr im Schlaf. 

Etwa sieben Gramm biologischen Abfall produziert das menschliche Gehirn täglich. Könnten diese Schadstoffe, darunter Proteine und Fette, nicht effizient ausgeschieden werden, würden sie sich zwischen den Zellen ablagern und zu Störungen der Hirnfunktion führen. 

Chemische und elektrische Signale zwischen den Neuronen könnten nicht mehr optimal übertragen werden. Schon länger vermutet man hier die Ursachen von Krankheiten wie Alzheimer, Demenz oder Morbus Parkinson. 

Dass es ein Entgiftungssystem im Gehirn geben muss, war den Forschern schon länger klar, doch auf welche Weise sich das Gehirn von Schadstoffen befreit, war lange ein Rätsel. Im restlichen Körper sorgt vor allem das Lymphsystem mit seinen weit verzweigten Lymphgefäßen und Lymphknoten für den Abtransport von Abfallprodukten und Krankheitserregern. Dieses ist im Gehirn jedoch nicht vorhanden. 

Erst seit den späten 1980ern kam man dem Geheimnis der cerebralen Müllabfuhr nach und nach auf die Spur. 2012 gelang es dem Team rund um die Neurobiologin Maiken Nedergaard vom University of Rochester Medical Centre zu zeigen, dass Liquor cerebrospinalis, also Hirn-Rückenmarksflüssigkeit, durch das Nervenzellgewebe fließt. Diese Art Kanalsystem wird seit 2013 – in Anlehnung auf das „Lymphsystem“ und dem Sammelbegriff von Zellen im Nervengewebe „Glia“ – „Glymphatisches System“ genannt.

Neuronen ruhen und machen Platz für die Müllabfuhr

Das glymphatische System arbeitet im Tiefschlaf am effizientesten, besonders vor Mitternacht. Wenn wir also schlafen, vergrößern sich die interzellulären Räume, wobei sich ihr Anteil am Gesamtgehirnvolumen von 14 auf 23 Prozent erhöht. Dabei fließt vermehrt Hirn-Rückenmarksflüssigkeit durch die entstandenen feinen Kanäle und zelluläre Abfallprodukte werden ausgeschwemmt. 

Die Ableitung dürfte über paravenöse Räume in die Lymphwege im Halsbereich und danach über die Leber erfolgen. Auf diese Weise werden sogar Gehirn-Areale erreicht, die ansonsten tagsüber gar nicht durchspült werden. Das Forscherteam konnte auch die Ausscheidung von Beta-Amyloide belegen, deren unerwünschte Anhäufung im Gehirn ein typisches Merkmal der Alzheimer-Krankheit ist.

Dieser Reinigungsprozeß ist vielleicht einer der Hauptgründe, warum der Mensch schlafen muss, denn durch die nötige Ausdehnung der Zellzwischenräume ist innerhalb des starren Schädelknochens nur bedingt Platz für die Hirnzellen. Diese müssen sich daher etwas zusammenziehen und sind in diesem Zustand nicht normal leistungsfähig – sozusagen in einer kleinen Zwangspause. 

Besserer Mensch sein durch Schlaf

Auch Emotionen wie Stress, Angst und Wut hinterlassen ihre biochemischen Spuren im Gehirn. Prof. DDr. Johannes Huber sieht im glymphatischen System eine natürliche Unterstützung darin, bessere Menschen zu sein. In seinem Buch „Das Gesetz des Ausgleichs – Warum wir besser gute Menschen sind“ empfiehlt er im Rahmen seines „Charakterfitness-Trainings“ sich dieses Wissen über den Reinigungsprozeß im Gehirn zu Nutzen zu machen. 

„Mal eine Nacht darüber schlafen“ rät uns schon der Volksmund. Wenn wir also wichtige Entscheidungen nicht gleich treffen, nachdem sich einen halben oder ganzen Tag bereits einiges an Müll angesammelt hat, wäre es besser, dies ausgeschlafen und mit gereinigtem Gehirn am Morgen oder zumindest Vormittags zu tun, so Huber. Die geistige Schärfe und der Realitätssinn nehmen dann im Laufe des Tages wieder ab, da wir schon wieder viel Gedankenmüll angehäuft haben.

Auf ärgerliche Nachrichten antwortet man dann häufig schon überzogen, schreiben voller Emotionen vielleicht E-Mails, die man am nächsten Morgen betrachtet, nicht mehr so abschicken würden. Wenn wir uns dieser Neurobiologie bewusst sind und versuchen, uns danach ausgerichtet zu handeln, könne wir sympatischere Menschen sein, so der Arzt und Theologe.

Forschung zu Therapiemöglichkeiten

Zu wenig Schlaf kann viele negative Effekte haben, kann sogar Verkalkungen der Gefäße begünstigen. Eine glymphatische Dysfunktion spielt wahrscheinlich eine bedeutende Rolle bei der Gehirnalterung, bei neurologischen Symptomen im Rahmen einer Typ-2-Diabetes, Demenz und Alzheimer. Auch andere neurologische Erkrankungen wie Schlaganfälle, Migräne, Depressionen und Glaukoma könnten mit einer unzureichenden Abfuhr der neurologischen Abfallprodukte einhergehen.

Nur mit ausreichend gesundem Schlaf kann der Mensch kreativ und leistungsfähig bleiben, zudem heilen Wunden besser und Abnehmen gelingt leichter. 

Wie man die Reinigung des Gehirns mithilfe des glymphatischen Systems gezielt fördern kann, benötigt noch weitere Forschungen. Mäuseversuche zeigten zum Beispiel, dass die Einströmung der Flüssigkeit ins Gehirn in Seitenlage erhöht ist. Durch die genaue Untersuchung der Abläufe und Substanzen in dem glymphatischen Flüssigkeitsaustausch hofft man, Wirkstoffe zu entwickeln, um bei Bedarf regulierend auf die Einströmung von Gehirnflüssigkeit einzuwirken. 

„Wer sich nachts zu lange mit den Problemen von morgen beschäftigt, ist am nächsten Tag zu müde, sie zu lösen.“

Rainer Haak

„Drei Dinge helfen, die Mühseligkeiten des Lebens zu tragen: Die Hoffnung, der Schlaf und das Lachen.“

Immanuel Kant

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