Interview mit Innophore-Chef Dr. Christian Gruber

Die Suche nach einem effektiven Wirkstoff gegen das neue Coronavirus kann nicht schnell genug gehen. Das Grazer Start-Up Innophore veröffentlichte Forschungen zu einem möglichen Wirkstoff und wurde innerhalb kürzester Zeit aus China kontaktiert.
VT: Dr. Gruber, Sie und Ihr Team haben einen möglichen Wirkstoff gegen das neue Coronavirus identifiziert, der in China bereits eingesetzt wird. Um welchen Wirkstoff handelt es sich und gibt es schon Einschätzungen über die Wirkung an den Patienten?
Dr. Gruber: Der HIV- Wirkstoff Lopinavir wurde als zugelassener Protease Inhibitor bei der Suche auf unserer Catalophore-Plattform am 23. Januar als ein mögliches Target identifiziert, da es bestmöglich zu einem der Schlüsselenzyme des Coronavisus passt. Lopinavir kann das Enzym bei seiner Arbeit behindern, das Virus ist dann nicht mehr funktionsfähig. Die Ergebnisse wurden von uns noch in derselben Nacht online veröffentlicht. China testet Lopinavir nun seit 27. Januar für die Behandlung des Coronavirus in Krankenhäusern.
Wir von Innophore sind jedoch keine Ärzte, Epidemiologen oder Virologen, also können wir keine Einschätzungen über mögliche Entwicklungen machen.
VT: Sie wurden direkt nach der Veröffentlichung Ihrer Daten von einem chinesischen Pharmaunternehmen, das mit dem „Chinese Center for Disease Control and Prevention” zusammenarbeitet, kontaktiert. Was waren Ihre ersten Gedanken bei diesem Anruf und wie fühlt es sich an, einen Teil dieser großen Verantwortung im Kampf gegen das neue Coronavirus mitzutragen?
Dr. Gruber: Bei Epidemien ist es von größter Bedeutung schnell zu handeln. Durch unsere proaktive Herangehensweise und die unverzüglichen Veröffentlichungen der Ergebnisse auf unserer Website, sowie den sozialen Medien war es möglich, dass man auch in China auf uns aufmerksam wurde. Wir hatten bei dem Anruf keine Zeit nachzudenken und haben einfach unter vollem Einsatz mit dem Team in China weitergearbeitet. Schnelligkeit und ein Handeln ohne Rücksicht auf Copyright, Geheimhaltungsverpflichtungen oder politische Systeme ist aus unserer Sicht Voraussetzung, um in Notsituationen erfolgreich zu handeln. Wissenschaftler und Unternehmen müssen gemeinsam transparent an einem Strang ziehen und Ergebnisse öffentlich zur Verfügung stellen, um alle Möglichkeiten an bestehendem Wissen und Technologie auszuschöpfen.
Diese Vorgehensweise bedarf jedoch einem gewissen Grad an Risikobereitschaft, das war auch hier so. Normalerweise würden Wissenschaftler nur mehrfach geprüfte Ergebnisse publizieren, was in einem solchen Fall kontraproduktiv ist. Es war eine große Ehre für uns, so intensiv zur Forschung beitragen zu können und haben auch Lob vonseiten der Partner für unseren Einsatz bekommen.
VT: Wie realistisch schätzen Sie es ein, dass Lopinavir oder einer der anderen von Ihnen identifizierten Wirkstoffe die Epidemie eindämmen kann?
Dr. Gruber: Wir sind, wie gesagt, keine Epidemiologen oder Virologen und können daher keine Einschätzungen über mögliche Entwicklungen machen. Es gibt viele verschiedene Wege einen solchen Virus einzudämmen. Wir waren lediglich an der Lösung für einen Weg beteiligt. Die weltweiten Anstrengungen im Kampf gegen den Virus werden noch weiter anhalten.
VT: Wie sehen die zukünftigen Schritte aus, im Fall, dass keiner der identifizierten Wirkstoffkandidaten für eine Therapie geeignet ist?
Dr. Gruber: Forschung ist grundsätzlich immer von einem Trial & Error Ansatz gezeichnet. Jeder der bisher vorgeschlagenen Wirkstoffkandidaten kann für eine Therapie ungeeignet sein, jedoch wird man Erkenntnisse gewinnen, die die weitere Forschung vereinfachen.
Im Falle von Innophore verwenden wir hierfür Artificial Intelligence und Iterationen, um so mehr über die genauen Anforderungen lernen zu können.
VT: Mithilfe der von Ihnen entwickelten Catalaphore®-Plattform ist es möglich, schneller potenzielle Wirkstoffe zu testen. Wie funktioniert diese Plattform und welchen Vorteile hat sie für die Wirkstofffindung?
Dr. Gruber: Mit der von uns entwickelten Catalaphore®-Plattform, werden computerbasiert durch Algorithmen neue Enzyme und Wirkstoffe für Arzneimittel identifiziert, und das schneller als in herkömmlichen Laboren. Das spart wertvolle Forschungszeit.
Die Suchmaschine nutzt dafür Künstliche Intelligenz und Big Data Ansätze. Dabei kann das System für verschiedenste Anwendungen in der pharmazeutischen Industrie, sowie für industrielle Prozesse eingesetzt werden, um in Zukunft nachhaltiger und effizienter zu produzieren oder verbesserte Produkte auf den Markt zu bringen. So ist es auch möglich, durch bestimmte Eigenschaften von Wirkstoffen Nebenwirkungen anderer Medikamente zu prognostizieren. Das alles schnell und kostengünstig.
VT: Ihr Unternehmen setzt bei der Suche nach einem passenden Wirkstoff auf „Drug Repurposing“ (zugelassene Wirkstoffe werden auf neue therapeutische Anwendungsmöglichkeiten untersucht). Wie viele neue Therapiemöglichkeiten von Viruserkrankungen allgemein konnten auf diesen Weg bereits gefunden werden?
Dr. Gruber: Natürlich verfolgen wir das „Drug Repurposing“ im Allgemeinen sehr genau und haben intern einige Forschungsprojekte, die sich mit diesem Thema befassen.
Genau zu beziffern, wie viele neue Therapiemöglichkeiten bereits für Viruserkrankungen damit gefunden wurden, liegt nicht in unserem Kompetenzbereich.
VT: Oftmals vergehen zwischen der Entdeckung bis zur therapeutischen Anwendung eines Wirkstoffes Jahre. Deutliche Wirkungsnachweise müssen in klinische Studien erbracht werden. Wie könnte ein möglicher Zulassungsprozess Ihrer Meinung nach aussehen?
Dr. Gruber: Bei Epidemien ist es von größter Bedeutung schnell zu handeln, um eine Ausbreitung einzudämmen. Eine Zulassung für ein neues Medikament zu finden ist in einem solchen Fall unmöglich, da die Dauer bis zu einer Zulassung eines Medikamentes Jahre benötigt.
VT: Haben Sie Einblicke, welche anderen Ansätze vom „Chinese Center for Disease Control and Prevention“ noch verfolgt werden?
Dr. Gruber: In die unterschiedlichen Ansätze des Chinese Centers for Disease Control and Prevention waren wir nicht mit einbezogen. Wir können aber keine Auskünfte geben wie unserer Meinung nach ein zukünftiger Zulassungsprozess aussehen wird.
VT: Denken Sie, dass „Drug Repurposing“ die beste Chance ist, einen passenden Wirkstoff zu finden?
Dr. Gruber: Unsere Technologie beruht wie vorhin angeführt auf dem „Drug Repurposing“. Wenn sehr schnell gehandelt werden muss, ist „Drug Repurposing“ sicherlich das Mittel der Wahl, da man eben keine Zeit für Klinische Studien und aufwendige Tests hat.
VT: Vielen Dank für das Interview, wir warten gespannt auf die ersten Rückmeldungen aus Chinas Krankenhäusern!