Genschere CRISPR: Medizinischer Fortschritt oder „schrecklicher als Atombombe“? -Teil 1

(Bild: iStock 667138650/vchal)

Genschere CRISPR: Medizinischer Fortschritt oder „schrecklicher als Atombombe“? -Teil 1

Fluch oder Segen? Die CRISPR-Technologie wirft schwierige ethische Fragen auf. (Bild: iStock 667138650/vchal)

Nspirement.de, Ch. Winter

Mit der Gentechnologie CRISPR/Cas wurde ein wissenschaftliches Werkzeug geschaffen, mit dem man die DNA von Natur und Menschen unwiderruflich verändern kann. Als 2020 die beiden Erfinderinnen der Technologie mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet wurden, hatte die Welt aufgrund der Corona-Pandemie gerade ganz andere Sorgen. So bekam diese Errungenschaft nur bedingt die verdiente Aufmerksamkeit. „Oft bemerkt man erst hinterher, dass gerade eine Revolution stattgefunden hat”, so Bioethiker Alta Charo in einer Dokumentation über CRISPR. Ebenfalls wenig öffentliche Beachtung bekamen die damit aufkommenden moralischen Fragen.

Zurzeit ist CRISPR (gesprochen „crisper“) ein wissenschaftlicher Begriff, der noch nicht in den Köpfen der Allgemeinheit angekommen ist. Jedoch ist diese Technologie, die in der Lage ist, DNA gezielt und unwiderruflich zu verändern, bereits dabei die menschliche Zukunft zu definieren.

Manche Wissenschaftler sprechen davon, dass „Mutter Natur uns etwas gegeben hat, das unsere Vorstellungen übersteigt“ und damit erstmals genetische Krankheiten geheilt werden könnten. Während die mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Forscherinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna die neue Technologie als einen „Schatz, den sie gefunden haben“ bezeichnen, werden auch gewichtige Gegenstimmen lauter.

Fyodor Urnov, einer der Professoren, der ebenfalls an Genveränderung durch CRISPR forscht, schrieb in einem besorgten offenen Brief:

„Der Umgang mit dem Werkzeug ist außer Kontrolle, hört auf, die DNA in Spermien, Eizellen oder Embryonen zu verändern, um genetisch modifizierte Kinder zu schaffen.“

Russlands Präsident Wladimir Putin sagte in einer Besprechung über CRISPR, dass diese Technologie „schrecklicher als die Atombombe sein könnte.“

Was nach Science-Fiction klingt, ist mittlerweile Realität geworden. CRISPR ist im Jahr 2021 im wissenschaftlichen Alltag und sogar in privaten Garagen von Hobbyforschern angekommen. Was hat es aber mit dieser neuen Technologie auf sich? Was weiß man überhaupt wirklich über die DNA und kann man sie zur wissenschaftlichen Spielwiese machen?

Und die vielleicht wichtigste Frage: Darf die Wissenschaft so weit gehen und lassen sich die möglichen Risiken überhaupt erahnen, wenn der Mensch beginnt Gott zu spielen?

Von der Entschlüsselung der DNA zu den ersten genmanipulierten Babys

Im April 2000 gelang es Forschern erstmals die ersten 54 Prozent des menschlichen Genoms, also das aus DNA aufgebaute Erbgut unserer Zellen, zu entschlüsseln. Als dann schließlich fast ein Jahr später, im Februar 2001 die vollständige Entschlüsselung in der Fachzeitschrift Nature bekannt gegeben wurde, war die Welt in Staunen versetzt.

Der damalige US-Präsident Bill Clinton sagte zu der ersten Entschlüsselung im April 2000:

„Jetzt lernen wir die Sprache, mit der Gott das Leben erschuf.”

Jedoch hielt diese ehrfürchtige Demut nicht lange an. Bereits im Jahr 2012 wurden erste Ergebnisse veröffentlicht, in denen Forscher zeigten, wie sie DNA von Säugetierzellen unter Anwendung einer „Genschere“, die später CRISPR/Cas9 genannt werden sollte, gezielt manipulierten.

Wenige Jahre später, Ende 2018, verkündete der chinesische Biophysiker He Jiankui, dass zwei genmanipulierte Babys geboren wurden. Ihr Erbgut hat der Forscher mittels CRISPR verändert, mit dem Versuch, sie gegen HIV immun zu machen. Von mindestens einer dritten Frau war zu dieser Zeit bekannt, dass sie ebenfalls mit einem im Labor genmanipulierten Fötus schwanger war. Auch sie soll das Kind anschließend lebend zur Welt gebracht haben. Die chinesische Regierung distanzierte sich nach Bekanntwerden des Skandals von den durchgeführten Forschungen. Jedoch stellte sich, wie DW berichtete, heraus, dass die Forschung angekündigt und von Seiten der KPCh nicht nur genehmigt, sondern auch mit nachweislich mindestens fünf Millionen Euro gefördert wurde.

Wie es innerhalb weniger Jahre zu diesem, wie es internationale Forscher bezeichnen, „ethischen Fiasko“ kommen konnte, ist nicht so leicht nachzuvollziehen. Gehen wir nochmal ein paar Schritte zurück, zu den grundlegenden Fakten.

Was ist CRISPR/Cas?

CRISPR steht für “Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats” und Cas9 bedeutet “CRISPR associated protein 9”. Hinter dem wissenschaftlichen Begriff steckt eine neue molekularbiologische Methode, mit der man DNA an bestimmten Stellen schneiden und sie so gezielt verändern kann. Es können dabei Bausteine entfernt, hinzugefügt oder verändert werden. Umgangssprachlich spricht man bei CRISPR/Cas9 auch von einer „programmierbaren Genschere“.

Kurz und vereinfacht erklärt, wird ein bestimmtes Ziel in der DNA ausgewählt, das man verändern möchte. Mittels einer künstlich erzeugten „Guide RNA“, die genau an der gewollten Stelle binden kann, erkennt die Genschere, wo sie schneiden muss. Hier wird dann die DNA-Doppelhelix zerschnitten – es kommt zu einem sogenannten „Doppelstrangbruch“.

Anschließend wird dieser Strang repariert, wobei es mehrere Varianten gibt. Eine Möglichkeit besteht darin, die Stelle falsch zusammenzusetzen, wodurch das betreffende Gen nicht mehr richtig abgelesen werden kann und somit ausgeschalten wird. Die andere Variante ist, man baut einen neuen, veränderten Abschnitt in die DNA ein und löst so eine gezielte Mutation aus. Als Fachbegriff spricht man auch von „Genom Editing“– also von „Bearbeitung des Erbguts.“

Wofür wird CRISPR/Cas eingesetzt?

Gentechnik kannte man bisher hauptsächlich aus dem Bereich der Pflanzen- und Tierzüchtung oder aus der medizinischen Forschung. Der ursprüngliche Ansatz in der Pflanzen- oder Tierzucht war, dass man verschiedene Pflanzenarten oder Tiere kreuzte, um so in den nächsten Generationen neue und im besten Fall verbesserte Merkmale zu erzielen. Auf diese Weise versuchte man bisher etwa eine erhöhte Widerstandsfähigkeit gegen Wetter oder Krankheiten, größere Früchte oder eine bessere Fleischqualität bei Tieren zu erlangen.

CRISPR/Cas geht einen entscheidenden Schritt weiter. Man kann quasi in „Echtzeit“ Gene verändern, ohne die nächste Generation abwarten zu müssen. In der medizinischen Forschung nutzte man zuerst einfache Bakterien, deren DNA künstlich verändert wurde, um sie zur Produktion von gewünschten Produkten zu bringen. Ein Beispiel hierfür ist die Herstellung von Insulin für Diabetiker.  

Manche Forscher erhoffen sich durch CRISPR eine Optimierung der Natur zu menschlichen Gunsten, sowie Fortschritte bei der Heilung bisher unheilbarer und genetischer Krankheiten. Andere sehen darin die entscheidendste moralische Frage unserer Zeit – wie weit darf Wissenschaft gehen und soll man auch alles machen, nur weil man es theoretisch machen kann?

„Menschen sind gut darin, Neues zu erfinden, aber sehr schlecht darin, die Folgen abzuschätzen”

aus „Human Nature“ (Dokumentation über CRISPR)

Muskelbepackte Beagles, Tomaten im Weltall und Designer-Babys

Mittlerweile wird die Genschere CRISPR in vielen Labors unterschiedlich angewendet. 2015 wurde zum Beispiel die DNA von Beagle-Welpen verändert, sodass ihr Muskelwachstum verstärkt wurde.

2019 stellten Forscher Tomaten mit veränderter DNA vor, die laut eigenen Angaben für Versorgung im Weltraum gedacht seien. Mittels drei Genmutationen verwandelten die Forscher klassische Tomatenstauden in kompakte, kleine Büsche mit viel mehr Früchten als üblich.

Während in der EU bereits diskutiert wird, die Anwendung von CRISPR angesichts klimabedingter Ernteausfälle zuzulassen, spricht sich die österreichische Wirtschaftsexpertin Ursula Bittner klar dagegen aus:

„Die Natur darf kein Versuchslabor für die Gentechnik-Industrie werden. Einmal in die Umwelt freigesetzt, wird gentechnisch verändertes Erbgut auf andere Pflanzen übertragen und kann nie wieder zurückgeholt werden. Die bestehenden Gesetze dürfen auf keinen Fall aufgeweicht werden, sonst wird ein Kreislauf in Gang gesetzt, der nicht mehr gestoppt werden kann.“

Einen Schritt weiter ist hingegen der ehemalige NASA-Forscher und Biochemiker Josiah Zayner. Er hat bereits in seinem Hobbylabor seine eigene DNA mittels CRISPR verändert und hilft anderen Menschen dies ebenfalls zu tun. Wozu dies führte und wie sich die Szene der sogenannten Biohacker entwickelt, lesen Sie in Teil 2 dieses Artikels.

Ausblick Teil 2:

Mysterium menschliche DNA – welche Geheimnisse verbergen sich noch im Code der Basenpaare; Biohacking – wie gelangt CRISPR in die Garagen von Hobbyforschern und welche Auswirkungen hat dies?; Ethik – wo ziehen wir die moralische Grenze und wer entscheidet?

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