GEDICHT: Wie viel weißt du, o Mensch… – Franz Grillparzer

Denkmal des Schriftstellers Franz Grillparzer im Volksgarten Wien (Bild: iStock, 964368900/Stefan Rotter)

GEDICHT: Wie viel weißt du, o Mensch… – Franz Grillparzer

„Wie viel weißt du, o Mensch…“ ist ein Gedicht des Wiener Schriftstellers Franz Seraphicus Grillparzer aus dem Jahr 1843.

Denkmal für Franz Grillparzer im Volksgarten Wien (Bild: iStock, 179092112/sarahdoow)

Franz Seraphicus Grillparzer wurde am 15. Jänner 1791 in Wien geboren. Er hatte eigentlich Jura studiert, war aber Zeit seines Lebens als Schriftsteller, vor allem in der Dramatik, tätig. In sein breites künstlerisches Repertoire fallen Geschichtsdramen, Liebestragödien, Schicksalstragödien, Trauerspiele, Künstlerdramen, aber auch Gedichte. 

Ein wichtiges Merkmal seiner Werke ist sein Hochhalten der Traditionen. Dabei schätzte er vor allem Werte aus der Zeit der Habsburger-Dynastie, aber auch antike Tugenden. In vielen seiner Werke, wie beispielsweise Die Ahnfrau oder König Ottokars Glück und Ende, lässt er seine dramatischen Helden schließlich am Traditionsbruch scheitern.

Den in der Zeit nach dem Zerfall der Habsburger Monarchie aufstrebenden modernen „neuen ideellen“ Werten steht Grillparzer sein ganzes Leben lang sehr kritisch gegenüber. 

In seinem Gedicht „Wie viel weißt du, o Mensch…“ stellt er die Frage, wie viel oder eigentlich wenig die Menschen, trotz der vielen neuen Erkenntnisse beim Übergang in die Moderne, denn wirklich wissen würden. Zudem scheint er von einem Gesetz zu sprechen, dass über das Menschliche hinausgeht, dem die Menschheit aber unterworfen ist, auch wenn sie denken, dass sie sich durch moderne Erkenntnisse entwickelt haben. 

Wie viel weißt du, o Mensch …

Wieviel weißt du, o Mensch, der Schöpfung König,

Der du, was sehbar siehst, was meßbar mißt,

Wie viel weißt du? und wieder, ach, wie wenig,

Weil, was erscheint, doch nur ein Äußres ist.

Und steigst du in die Tiefe der Gedanken,

Wie findest du den Rückweg in die Welt?

Du armer König, dessen Reiche schwanken,

Der eine Krone trägt, allein kein Zepter hält.

Zu dem Gewölb von deinen strengen Schlüssen

Stellt sich der Schlußstein nun und nimmer ein,

Und die Empfindung, Flügel an den Füßen,

Entschwebt der Haft, und ruft hinfliegend: Nein!

Denn etwas ist, du magst’s wie weit entfernen,

Das dich umspinnt mit unsichtbarem Netz,

Das, wenn du liebst, du aufschaust zu den Sternen,

Dich unterwerfend dasteht: das Gesetz.

Franz Grillparzer  (1791 – 1872)

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