
In dem vorherigen Artikel haben wir das Schriftzeichen 法 fa (Gesetz des Universums) erläutert. Wir wissen jetzt, woher heiligen Schriften ihre Kraft nehmen und warum man durch das Lernen der Heiligen Schriften zur Weisheit gelangen kann.
Der Weg zur Weisheit scheint eine Lebensaufgabe zu sein. Was eigentlich soll mit dem chinesischen Schriftzeichen 慧 hui für Weisheit zum Ausdruck gebracht werden?
Das Schriftzeichen 慧 (hui) wird aus den zwei Schriftzeichen 彗 (hui, der Besen oder das Verb fegen) und 心 (xin, Herz) zusammengesetzt. Ein Komet heißt auf chinesisch übrigens Besenstern 彗星 (huixing), weil er seinen Schweif beim Überqueren des Himmels wie einen Besen hinter sich herzieht.
Die obere Hälfte von 彗 (hui) zeigt einen Handfeger und der untere Teil ist eine Hand. Das Herz 心 (xin) von 慧 (hui) repräsentiert den menschlichen Geist bzw. die Seele. Das gesamte Schriftzeichen zeigt also, dass der Handfeger auf dem Herzen hin und her kehrt.
Aber warum?
In der traditionellen Kultur Chinas war man der Auffassung, dass – anders als der Körper – die Seele des Menschen auch nach dem Tod weiterhin in anderen Räumen des Universums existieren kann. Ohne die Einschränkungen durch die Sinnesorgane des menschlichen Körpers, kann sich die Seele sogar noch freier bewegen und das wahre Antlitz des Universums besser erkennen.
Im Buddhismus, Daoismus oder anderen Religionen wird davon geredet, dass man als Mensch eigentlich wie im Nebel lebt und deswegen sich leicht verwirren lässt.
Dieser Vergleich mit dem Nebel mag für viele Menschen sehr philosophisch klingen, aber weil die heutige Wissenschaft uns schon viel darüber verraten hat, wie begrenzt unsere Sinnesorgane (beispielsweise im Vergleich zu den Supersinnen der Tiere) sind, trifft dieser Vergleich wiederum vollkommen zu.

Von dem ganzen elektromagnetischen Spektrum macht beispielsweise der Bereich des sichtbaren Lichtes, der durch menschliche Augen wahrgenommen werden kann, nur einen sehr winzigen Teil aus. Ähnliches gilt auch für die akustische Wahrnehmung des Menschen.
Wir Menschen besitzen also eine klare Seite durch den Geist und zugleich eine unklare Seite durch den Körper. Jedoch haben wir auch den freien Willen und können uns selbst entscheiden, welchen Weg wir gehen.
Im Buddhismus und im Daoismus wird gesagt, wenn man zur Weisheit gelangen will, muss man statt auf den Körper als Quelle der Begierde auf Geist angewiesen sein. Die seit der Geburt erworbenen menschlichen Anschauungen, die Begierden und der Egoismus bedecken den Geist wie Staub, sodass man das Wesen der Dingen nicht mehr klar sehen kann.
Auf dem Weg zur Weisheit ist es also wichtig, dass man versucht, dass das Herz nicht von “Staub” getrübt wird. So beinhaltet das Schriftzeichen hui 慧 auch das Wissen, wie man zur Weisheit gelangt, nämlich indem man den Geist trotz dieser “nebelhaften” und “staubreichen” Welt “staubfrei” hält.
Debatte zwischen zwei Zen-Mönchen
Zum Schluss möchte ich zwei bekannte Mönche, Shenxiu (神秀, 607-706) und Huineng (惠能, 639-713), vorstellen. Sie praktizierten den im 5. Jahrhundert in China entstandenen Zen-Buddhismus. Beide führten eine Debatte darüber, wie man zur Weisheit gelangt. Dabei wurden zwei folgende berühmte Gedichte hinterlassen.
Von Shenxiu:
Der Leib ist der Bodhi-Baum
Der Geist ist wie ein klarer stehender Spiegel
Poliere ihn allzeit mit Eifer
Lass keinen Staub daran haften
Von Huineng:
Im Grund gibt es keinen Bodhi-Baum
Da ist kein klarer Spiegel auf einem Gestell
Im Ursprung ist da kein Ding
Worauf soll sich Staub legen
Quelle der deutsche Übersetzung für die beiden Gedichte : https://de.wikipedia.org/wiki/Huineng