Entschlüsselung der chinesischen Schriftzeichen (3) — 寺 Si: Was haben staatliche Verwaltungseinrichtungen und buddhistische Klöster gemeinsam?

Shaolin temple in Henan Province, China, during autumn, yellow leaves and traditional Chinese architecture building

Entschlüsselung der chinesischen Schriftzeichen (3) — 寺 Si: Was haben staatliche Verwaltungseinrichtungen und buddhistische Klöster gemeinsam?

Die Einführung des Buddhismus in China wurde vom Kaiser Ming unterstützt. (Bild: iStock)

Das Schriftzeichen 寺 si besteht aus 士 shi (Intellektueller) und 寸 cun. Der obere Teil wurde eine Zeit lang während des Altertums auch mit dem Zeichen 土 tu (Erde) geschrieben. Beides ist heutzutage richtig.

Bild1
Bild2
Bild3

Durch die Schreibweise von寺 si (Bild 1) in der Kleinen Siegelschrift, die durch die Reform und Vereinheitlichung der chinesischen Schrift in der ersten Dynastie des chinesischen Kaiserreiches Qin entstand (etwa 200 v. Chr.), ist jedoch zu erkennen, dass das obere Element von 寺 si ursprünglich ein 止 zhi (Fuß – Bild2) war. Der Grund, warum das obere Element 止 zhi später, bei der darauf folgenden Kanzleischrift (Bild 3) durch 土 tu ersetzt wurde, ist unbekannt. 

止 zhi bedeutet, dass ein Fußabdruck hinterlassen worden ist, beschreibt allerdings auch den gegenwärtigen Aufenthaltsort. Das Grundelement 寸 cun bezieht sich hier auf die arbeitenden Hände einer respektvollen und umsichtigen Person, die Hände eines hochrangigen Beamten. So hatte das Schriftzeichen 寺 si ursprünglich die Bedeutung einer staatlichen Verwaltungseinrichtung.  

Der Traum eines chinesischen Kaisers und der Buddhismus in China

Das Wort 寺 si bedeutet heutzutage “Buddhistische Klöster” oder “Tempel”. Dies hat damit zu tun, dass vor circa zweitausend Jahren der Buddhismus aus Indien mit kaiserlicher Unterstützung in China eingeführt wurde.

Der Überlieferung nach hatte Kaiser Ming der östlichen Han-Dynastie, der eigentlich Liu Zhuang hieß, eines Nachts im Jahr 65 n. Chr. einen Traum. Er träumte von einer Gottheit mit goldenem Körper, die von Licht umgeben war. Diese schwebte am Himmel von Weitem heran und landete vor dem Palast. Am nächsten Morgen erzählte Kaiser Ming seinen Ministern von seinem Traum und fragte, wer diese Gottheit war. Er erhielt die Antwort, dass sie wahrscheinlich der Buddha aus Indien sei. Deshalb wies Kaiser Ming 13 Gesandte an, nach Indien zu gehen, um den Buddha zu suchen. 

Als die Delegation im heutigen Afghanistan war, traf sie zwei buddhistische Mönche aus Indien namens Dharmaratna (chinesisch: 竺法蘭 Zhu Falan) und Kasyapa Matanga (chinesisch:迦葉摩騰 Jiaye Moteng). Beiden nahmen die Einladung nach China an und kehrten 67 n. Chr. gemeinsam mit der Delegation zur damaligen Hauptstadt Luoyang zurück. 

Als die beiden Mönche in Luoyang ankamen, wurden sie zuerst im „Honglusi“ (Chinesisch: 鴻臚寺) untergebracht, in dem sich die staatliche Verwaltungseinrichtung für Riten, das Staatszeremoniell und Angelegenheiten der Minderheiten befand.

Um den beiden bedeutenden Gästen Respekt zu zollen, ließ Kaiser Ming eine Akademie errichten, die dem Studium des Dharma (die Lehre Buddhas) gewidmet war. Diese buddhistische Akademie bekam durch die kaiserliche Förderung den Status gleich einer staatlichen Einrichtung und trug den Namen Baimasi (Chinesisch: 白馬寺/ Deutsch: Tempel des weißen Pferdes). Sie wurde der erste buddhistische Tempel in China.

Der Bau vieler buddhistischer Tempel und Klöster

Neben dem Daoismus und dem Konfuzianismus, die aus China selbst stammen, wurde der Buddhismus aus Indien zu einer der Hauptsäulen der traditionellen chinesischen Kultur. Mit der Verbreitung des Buddhismus wurden überall in China Tempel und Klöster gebaut und alle übernahmen das Wort 寺 si in ihren Namen. Einer der bekanntesten Tempel ist der Shaolin Tempel (Chinesisch: 少林寺), der selbst im Westen für seine Kampfkunst gerühmt wird. Auf diese Weise hat das Wort 寺 si auch die Bedeutung für buddhistische Klöster oder Tempel erhalten.

Buddhistische Klöster oder Tempel in China hatten nicht nur von Anfang an einen ebenso hohen Rang wie staatliche Verwaltungseinrichtungen. Die Beamten und Mönche teilten sich außerdem noch eine Gemeinsamkeit in der Sprache: Sowohl die Beamten als auch die Mönche sollten sich nach dem fa (法) richten. Das fa wiederum bedeutet „Gesetz“ oder „Dharma“ (die Lehre Buddhas).

Im nächsten Artikel befassen wir uns damit, was Gesetze und Dharma gemeinsam haben und entschlüsseln dazu das Schriftzeichen 法 fa.


Online Schreibübung für 寺: https://stroke-order.learningweb.moe.edu.tw/mobiles/practice.rbt?word=%E5%AF%BA#

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