
Man macht sie nicht mit Absicht und grundsätzlich ungern, aber sie passieren: Fehler. Der menschliche Instinkt verleitet meist dazu sie zu ignorieren, oder im Erdboden versinken zu wollen und die Gesellschaft lebt uns oft vor, die Verantwortung möglichst schnell von sich zu weisen und jemand anderes die Schuld zu geben. Doch das Leben und auch neue Studien beweisen, dass die ehrliche Auseinandersetzung mit Fehlern uns weiterbringt und wachsen lässt – oftmals sogar weit über unser altes Selbst hinaus.
Fehler gibt es in allen Varianten, manche sind groß und offensichtlich, manche bleiben unbeobachtet, manche überwindet man schwer, manche vergisst man lange und sie fallen einem plötzlich in einem haarsträubenden Moment wieder ein. Allen gemeinsam ist aber, dass sie unangenehm sind und man sich wünscht, sie nicht gemacht zu haben. Psychologin und Ärztin Dr. med. Silke Datzer ist der Meinung, dass ein Fehler ein Überraschungsmoment sei, der instinktiv den menschlichen Fluchtreflex auslöse. Sie erklärt auf der Plattform ze.tt:
„Evolutionsbedingt würden wir am liebsten weglaufen und so tun, als wären wir es nicht gewesen. Wir versuchen, es von uns fernzuhalten.“
Dies sei eine Art Selbstschutz-Mechanismus, der eng mit dem Selbstwertgefühl des Betroffenen zusammenhängt.
Diese Vorgehensweise, die dazu dienen soll, sich von dem negativen Gefühl des Fehlers zu distanzieren, oder nicht das Gesicht vor anderen zu verlieren, wirkt einschränkend, verhindert Weiterentwicklung und zukünftige Erfolge, wie eine Ende 2017 veröffentlichte Studie im Fachjournal Journal of Behaviour and Decision Making zeigt.
In dieser Studie untersuchten Noelle Nelson und Ko-Autoren Selin Malkov und Baba Shiv mögliche positive Effekte, die man durch das Auseinandersetzen mit den negativen Gefühlen nach einem Fehler abgewinnen kann.

Im Laufe der Studie wurden die Teilnehmer zuerst aufgefordert, im Internet den niedrigsten Preis für einen bestimmten Mixer zu finden, mit der Möglichkeit, ein Preisgeld dafür zu gewinnen. Jedoch, egal welchen Preis die Teilnehmer zum Schluss gefunden hatten, wurde ihnen gesagt, dass der niedrigste Preis 3,27 $ weniger gewesen wäre, und sie somit einen Fehler gemacht hätten und kein Preisgeld erhalten würden.
Die Hälfte der Teilnehmer wurde daraufhin aufgefordert ihr emotionales Befinden schriftlich zu beurteilen und sich mit dem Geschehenen in Ruhe auseinanderzusetzen, während die andere Hälfte aufgefodert wurde, ihre Leistung bei der Aufgabe niederzuschreiben.
Nach einigen anderen, zusammenhangslosen Aufgaben, wurden alle Teilnehmer aufgefordert, für einen Freund zum Geburtstag ein Buch im Internet auszuwählen, das zudem ein Sonderangebot sein solle. Dabei wurde festgestellt, dass die Teilnehmer die ihre Leistung beurteilen mussten, bis zu 25 % mehr Zeit brauchten, um sich für ein günstiges Buch zu entscheiden, als jene Teilnehmer, die sich in Ruhe mit dem vorherigen Fehler auseinandersetzen konnten.
Außerdem zeigten die schriftlichen Berichte der beiden Gruppen große Unterschiede. Jene Gruppe, die sich auf ihre Leistung fokussieren sollte, spiegelte in ihren Berichten ein sehr defensives Verhalten wider, wie „Das Preisgeld war mir ohnehin egal.“ oder „Es war unmöglich diesen Preis zu finden.“
Die zweite Gruppe, die sich mit ihrem Fehler auseinandersetzen konnte, legte in ihren Berichten mehr Wert auf Selbstverbesserung und schrieb zum Beispiel „Wenn ich nur länger gesucht hätte, dann hätte ich diesen Preis gefunden.“ oder „Ich habe einfach zu schnell aufgegeben.”
Damit konnte deutlich gezeigt werden, dass unterschiedliche Fehlerbewältigung zu unterschiedlichen Resultaten führt, und dass ein ruhiges Auseinandersetzen mit dem begangenen Fehler zu positiverem und motivierterem Verhalten bei zukünftigen, ähnlichen Aufgaben führen kann.
Das eigene Verhalten beeinflusst unsere Umgebung
Obwohl das Eingestehen eines Fehlers und der vernünftige Umgang damit, oftmals viele Folgeprobleme vermeiden würde, fällt es den meisten Menschen immer wieder schwer, dies in der Realität umzusetzten. Dr. Michael Kletter, Psychotherapeut und Coach für Unternehmensberatung und Mitarbeiterentwicklung sagt dazu: „Die Ursachen dafür liegen im Prozess der familiären Sozialsituation.“ Ob in der Famile mit Fehlersituationen liebevoll und geduldig oder streng und strafend umgegangen wird, hat wesentliche Auswirkungen auf das zukünftige Verhalten.

„Wer als Kind erlebt hat, dass ihm trotz Fehler ein Grundvertrauen entgegengebracht wird, der wird sich leichter tun, Fehler einzugestehen. Wer hingegen die Erfahrung gemacht hat, dass Fehler zu Vorwürfen und Strafen führen, wird alles dafür tun, sie zu verstecken. Denn die Person gelangt zu der inneren Überzeugung, nur dann in Ordnung zu sein, wenn alles perfekt läuft“, wird Dr. Michael Kletter von der Plattform ze.tt zitiert.
Aber nicht nur bei der Kindererziehnung, sondern auch im Umgang mit Freunden und Kollegen hat man die Chance, diesbezüglich ein gutes Vorbild zu sein. Dr. Lisa Schubert, Psychologin und Mediatorin erklärt, dass es im Umgang mit Fehlern hiflreich sei, die Perspektive zu wechseln und sich selbst zu fragen, wie jemand wirke, der Ausflüchte suchen würde und andere beschuldigt. Sie ist der Meinung, dass jemand der seine Fehler vor anderen zugeben kann, eine Basis für ein vertrauensvolles Miteinander schafft. Dr. Schubert sagt dazu: „Wenn man selbst Fehler eingesteht und sich verlässlich zeigt, dann hat das Gegenüber auch viel mehr Vertrauen und ist im Gegenzug eher bereit, Fehler ebenfalls zuzugeben“.
Ohne Fehler kein Erfolg – Fehlerkultur am Arbeitsplatz
„Fehler vermeidet man, indem man Erfahrung sammelt. Erfahrung sammelt man, indem man Fehler macht.“ – Professor Laurence Johnston Peter
Dieses Zitat von Prof. Laurence Johnston Peter hat nicht nur im persönlichen Leben Gültigkeit, sondern auch am Arbeitsplatz. Gerade deshalb empfehlen Experten eine ausgewogene und aufrichtige Fehlerkultur in einer Arbeitsgruppe oder einem Unternehmen aufzubauen.

„Ich bin unbedingt für eine Kultur, in der es gut möglich ist, Fehler offen anzusprechen und sehe das als eine der Hauptaufgaben von Führungskräften“, bezieht Frau Dr. Schubert dazu Stellung. Unterstützt wird diese Auffassung auch von einer kürzlichen Studie der Universität Wien. In dieser Untersuchung zeigte sich deutlich, dass eine negative Fehlerkultur vermehrten Stress, Leistungsdruck und unrealistischen Perfektionismus mit sich bringe. Zudem führt negatives Feedback für Fehler dazu, dass die Betroffenen weniger neue Ideen einbringen und verwandelt ursprünglich motivierte Menschen in „Misserfolgsvermeider“. Aus ihnen werden Mitarbeiter, die keinen Fehler machen wollen und sobald eine Aufgabe mit Risko behaftet ist, gar nicht mehr versuchen das Problem zu lösen, sondern die Situation passiv an sich vorüberziehen lassen.
Wenn unabsichtliche Fehler am Arbeitsplatz Bestrafung oder Demütigung durch den Chef mit sich bringen, sind die Auswirkungen noch schlimmer. Dies führt zu Frustration und Unzufriedenheit, sowie zu verminderter Leistung. Die Arbeitsweisen verlieren den eigentlichen Fokus, indem zu viel Wert auf zukünftige Fehlervermeidung gelegt wird. In keiner Position sollte das Ziel der Arbeit sein, Fehler krampfhaft vermeiden zu wollen, sondern Aufgaben gut und gewissenhaft zu erledigen und somit Erfolge zu erzielen.
Zu Fehlern stehen und darüber hinaus wachsen
Damit man lernt zu seinen Fehlern stehen zu können, ist es zuerst wichtig, sich klar zu machen, dass ein Fehler kein peinlicher Beleg einer persönlichen Unzulänglichkeit ist. Vielmehr ist es eine Gelegenheit, etwas daraus lernen zu können. Laut Peter Sutter, Marketingchef von Software SevDesk, sollten Fehler als „Chance, nicht als Katastrophe verstanden werden“. Was seiner Meinung nach eine gelungen Fehlerkultur ausmacht: „Nicht der Fehler an sich, sondern das Vertuschen und Leugnen von Fehlern sollte als Tabu gelten.“

Um Fehler korrigieren zu können, ist es wichtig zu analysieren, was der Grund dafür war und ruhig zu überlegen, welche Prozesse und persönliche Aspekte in Zukunft verbessert werden können. Wenn man sich mit dem eigenen Versagen auseinandersetzt, einen Fehler erkennt und dazu steht und so eine Verbesserung für die Zukunft erreichen kann, hat man es geschafft, ein Stückchen über sein altes Selbst hinauszuwachsen. Vielleicht gerade um jenes Stückchen, das einem ohne dem entsprechenden Fehler für die Zukunft im Leben gefehlt hätte.