Es war ein Filmprojekt, das hohe Risiken mit sich brachte. Und dennoch nahm Sun Yi das Risiko auf sich. Es war sein erster, aber auch sein letzter Film. „Brief aus Masanjia“, so heißt der einstündige Dokumentarfilm. Ein Film, der Chinas schlimmstes Arbeitslager aufdeckt. Der Hauptdarsteller selbst war jedoch bei der feierlichen Filmpremiere in Kanada nicht anwesend. Er verstarb letztes Jahr in der indonesischen Stadt Jakarta, wo er um Asyl bitten musste, nachdem er in China brutal für seinen Glauben verfolgt wurde.
Doch erst Suns tragische Erfahrungen im Masanjia-Lager und sein SOS-Brief, der in die Hände einer Amerikanerin gelangte, machte die Dokumentation erst möglich. Sun war nur einer von vielen Falun Gong Praktizierenden, die in dem Arbeitslager in Nordostchina gefangen gehalten wurden. Dort wurde Sun Yi brutal gefoltert – schreckliche Erfahrungen, die im Film mithilfe von Animationen nachgestellt wurden.
Der mit dem Peabody ausgezeichnete Filmregisseur Leon Lee bekräftigte, dass Sun kein verbitterter Mensch gewesen war, und das, obwohl ihm diese furchtbaren Dinge widerfahren sind. „Als er über seine Foltererfahrungen berichtete, kam es mir so vor, als ob er die Geschichte von jemand anderem erzählte“, sagte Lee in einem Interview mit der Zeitschrift SupChina. „Er war so friedfertig – kein Groll gegenüber den Peinigern oder irgendjemandem. Das, denke ich, ist wahre Barmherzigkeit.“
Es war nicht zuletzt Sun selbst, der das meiste Bildmaterial innerhalb Chinas sammelte, welches anschließend aus dem Land herausgeschmuggelt wurde.
Es gelang ihnen sogar, während der Dreharbeiten, zwei Aufseher des Arbeitslagers zu interviewen, die selbst Hand angelegt haben, Anhänger von Falun Gong zu foltern. Falun Gong ist eine buddhistische Meditationspraktik, die die Prinzipien Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit und Nachsicht lehrt.
Regisseur Lee meinte, es wäre viel zu gefährlich, solche Interviews in China durchzuführen. „Doch Sun Yi war überzeugt, dass sie ihre Taten wirklich bedauerten und dass es für sie eine Wiedergutmachung sein würde“, sagte Lee. Er fuhr fort: „Nach dem Interview, erzählte mir Sun Yi, dass die Peiniger wirklich erleichtert waren. Sie fühlten sich gut, zum ersten Mal in ihrem Leben haben sie etwas Richtiges getan.“
Leon Lee erwähnte, dass die Identitäten der zwei Aufseher im Film nicht preisgegeben wurden. Der zweite Hauptstrang im Film war Suns von Hand geschriebener SOS-Brief, der in einem Halloween-Dekorationsset versteckt war, wodurch er erst in die Hände von Julie Keith, einer Mutter aus Oregon, gelangen konnte. Der Brief beherrschte im Jahr 2012 die Schlagzeilen.
Dabei war dieser nur einer von 20 Briefen, die Sun im Geheimen geschrieben und bereits einige Jahre zuvor in die Halloween-Pakete geschmuggelt hat, als er in Masanjia aufgrund seines friedlichen Glaubens inhaftiert gewesen war. Der Brief, den Keith erhielt, ist der Einzige, der in die Öffentlichkeit gelangte. Doch dieser eine Brief brachte eine Lawine ins Rollen. Medien berichteten über das gefundene Schreiben und im Zusammenhang dessen über die Misshandlungen, die in Masanjia stattfanden. Die chinesische Regierung sah sich unter Druck gesetzt, ihr System „Umerziehung durch Zwangsarbeit“ vermeintlich zu beenden.
Regisseur Lee gewann bereits 2014 den Peabody Award für seine Dokumentation „Ausgeschlachtet – Organe auf Bestellung“, die über den gewaltsamen Organraub in China berichtet. „Brief aus Masanjia“ wurde in Toronto im Hot Docs Ted Rogers Kino vom 22. bis zum 26. Juli ausgestrahlt.
Das Video unten zeigt die Rede von Regisseur Lee bei der Verleihung des Peabody Awards für den Film „Ausgeschlachtet – Organe auf Bestellung“: