Allein mit der großen weiten Welt – Auswirkungen des Medienkonsums auf Kinder (Teil 2)

Group of caucasian children posing at urban street with mobile devices

Allein mit der großen weiten Welt – Auswirkungen des Medienkonsums auf Kinder (Teil 2)

Wahrnehmungsunterschiede je nach Alter

Kinder im Vorschulalter haben noch ein sehr egozentrisches Weltbild und erleben sich dadurch intensiv als Teil der gehörten, gelesenen oder gesehenen Geschichte. Jedoch sind ihre kognitiven und strukturierenden Fähigkeiten noch kaum ausgebildet. Laut Spiegel.de „kann ein Kind unter zweieinhalb Jahren keine Verbindungen zwischen wechselnden Perspektiven herstellen. Im Kopf bleibt ein Bildsalat zurück.“ Zu schnelle Schnittfolgen, dunkle Szenen und laute Geräusche können bereits zu Ängsten führen. Eine schnelle und positive Auflösung von problematischen Situationen ist wichtig. 

Kinder bis sechs Jahren identifizieren sich vollständig mit der Spielhandlung und den Filmfiguren. Dadurch findet vor allem bei Bedrohungssituationen eine direkte Übertragung statt. Jedes Kind geht mit den aufgebauten Erregungszuständen und Gefühlen anders um, manche träumen schlecht, andere neigen zu aggressivem Nachspielen. Kleine Vielseher können durch die Reizüberflutung permanent überfordert sein und in ihrem Verhalten massiv auffällig werden.

Ab sechs Jahren nimmt die Fähigkeit zur kognitiven Verarbeitung von Sinneseindrücken zu. Jedoch kann diese Entwicklung bis elf Jahren noch stark individuell variieren. Spannungsmomente können schon besser ausgehalten werden, sofern sie nicht zu lange andauern. Erst etwa mit neun können Kinder fiktionale von realen Geschichten unterscheiden. Eine rasche und positive Auflösung ist auch jetzt noch wichtig.

Frühe Belastung mit ungeeigneten Themen

Durchs Fernsehen kommen Kinder oft zu früh mit ungeeigneten Themen in Kontakt (Bild über pixabay / CC0 1.0)

Auch die Auswahl der Sendungsinhalte ist wichtig und muss gegebenenfalls von Kind zu Kind sehr unterschiedlich ausfallen. Allgemeine Altersempfehlungen sind unbedingt nur als Richtwerte zu verstehen.

Sie sind mehr als untere Schutzgrenze zu sehen und nicht als pädagogische Empfehlung. Hat ein Film keine Altersbeschränkung, sollte dies keinesfalls automatisch als Freibrief für die Allerjüngsten gehalten werden. Erst bei Jugendlichen ab zwölf Jahren ist die Fähigkeit zu distanzierter Wahrnehmung und rationaler Verarbeitung, wie beim Erwachsenen, entwickelt.

Kinder leben im Schutzkokon ihrer Familie. Durch Fernsehprogramme werden Heranwachsende zu früh mit heiklen Dingen wie Drogen, Alkohol, Gewalt, Sex und so weiter konfrontiert. Dies wäre, ein ordentliches Elternhaus vorausgesetzt, sonst wohl nicht möglich. In vielen Jugendfilmen setzt sich eine derbe, vulgäre Sprache durch. Filme, die Helden als Menschen zeigen, die “cool” aussehen während sie Drogen nehmen, willkürlich Sex haben und extreme Gewalt anwenden, prägen die Anschauung in die Köpfe der Kinder, dass diese Aktionen in Ordnung sind.

Bilder prägen sich dazu noch viel leichter und schneller in unser Gedächtnis ein. Was ein Vorteil bei Wissensvermittlung sein kann, ist aber umso kritischer bei brutalen und verstörenden Inhalten.

Verzerrte Weltanschauung

Kinder begegnen Dingen, Tieren, Menschen und den verschiedensten Themen zuerst oft in den Medien, bevor sie in der echten Wirklichkeit auf sie treffen. Das führt nicht selten zu verzerrten Wahrnehmungen und Vorstellungen.

Häufig sehen Kinder Sendungen, die eigentlich für Erwachsene gedacht sind, dazu zählen auch Doku-Soaps und Realityshows. Sogenanntes Realitätsfernsehen wird bewusst so gestaltet, dass es sogar Erwachsenen schwer fällt, echtes von gestelltem Verhalten zu unterscheiden. Das Leben dreht sich darin primär um Werte wie Reichtum und Luxus, also eine ausschließliche Ausrichtung auf Vergnügen und Genuss. Sogar ständige Streitereien werden als Unterhaltung verkauft.

Aus solchen Sendungen können falsche Vorstellungen bezogen werden, z.B. zu einem normalen Urlaub gehöre übermäßiger Alkoholkonsum und leichtfertiger Sex. Man meint, die Realität sei so, wie sie auf dem Bildschirm erscheint.

Mit älteren Kindern kann es durchaus als Ausgangspunkt für interessante Diskussionen über Werte und eigene Meinungen genommen werden. Dem Kind sollte man erklären, dass keine Darbietung eine absolute und einzig mögliche Wirklichkeit darstellt und Situationen bewusst zugespitzt werden. Medienmacher berichten hauptsächlich über negative Ereignisse und aufregende Inhalte. Das weite Feld der Normalität wird ausgeblendet.

Zum Glück findet man auch regelmäßig gute Dokumentarfilme der Natur oder zu beeindruckenden Schauplätzen unserer Welt. Wertvolle Spielfilme versuchen Aspekte der Realität darzustellen (z.B. prämierte Filme des Prix Jeunesse International), liefern wertvolle Fremderfahrungen und wecken oder stärken das Mitgefühl für Mensch, Tier und Umwelt.

Gemeinsam einsam (Bild: 216608982 (© Moving Moment – stock.adobe.com))

Alleine mit der großen weiten Welt

Viele Eltern geben ihrem Kind ein Smartphone und lassen es damit alleine mit all seinen Verlockungen und Gefahren. Durch den freien Internetzugang haben die Kids viel leichter und meist viel früher Kontakt zu gewalttätigen und pornografischen Inhalten. Eine Lösung sind Jugendschutzprogramme, welche man als Filter auf den Endgeräten installieren kann. Sie können einen Teil der ungeeigneten Inhalte abfangen. Man könnte sich hier auch mit den Eltern der Freunde absprechen, um auch deren Handys sicherer zu machen. Manche Smartphones lassen einem die Möglichkeit, nur ausgewählte Funktionen freizuschalten.

Kinder und Jugendliche greifen vermehrt auf diverse Nachrichtendienste zurück, um mit ihren Freunden zu kommunizieren. Neben dem positiven Effekt der leichten Vernetzung werden aber auch oft unsinnige und irritierende, wenn nicht sogar angsteinflößende Meldungen, Kettenbriefe und dergleichen verschickt. Internet-Mobbing bestimmt den Alltag von immer mehr Jugendlichen. Im Rahmen der JIM-Studie geben elf Prozent der Jugendlichen an, dass schon einmal peinliches oder beleidigendes Bildmaterial, auf dem sie zu sehen waren, verbreitet wurde. 34 Prozent bejahen die Frage, ob im Bekanntenkreis schon einmal jemand per Smartphone oder online fertig gemacht wurde.

Schnelle Belohnung – Suchtgefahr

Spiele am Smartphone und Tablet aktivieren massiv das Belohnungssystem und machen somit leicht süchtig. Einmal kurz gewischt und geklickt und schon wird man durch Blinken, coole Sounds oder höhere Levels belohnt. Kinder verlernen so zu warten, werden ungeduldiger und verlieren schnell Interesse, wenn die erwartete Reaktion nicht sofort eintritt.

Es ist leicht in der virtuellen Welt über seine Grenzen zu gehen, etwas zu riskieren und sich Bestätigung zu holen – jemand anderer zu sein. Für viele ist es eine Flucht in eine „bessere“ Welt, wenn die reale Welt zu viel Stress macht und wenig Erfolge bietet.

Natürlich gehört stets das gesamte Umfeld der Heranwachsenden mitberücksichtigt. Haben Eltern generell wenig Zeit für gemeinsame Gespräche und Aktivitäten, verstärken sich die nachteiligen Auswirkungen der digitalen Welt gravierend. Ein ausgeglichenes, bestärkendes zu Hause und genügend ausgleichende „reale“ Aktivitäten können dafür auch viel ausgleichen.

Es sprechen viele Gründe dafür mit diesem technischen Fortschritt achtsam umzugehen. Dennoch bringt die Technik natürlich auch praktische Vorteile mit sich und kann uns vieles erleichtern.

Es stellt sich heutzutage ja nicht mehr die Frage, ob wir unsere Kinder in Kontakt mit den Medien kommen lassen, sondern wann und wie. Der gesunde ausgeglichene Umgang damit fällt auch uns Erwachsenen oft schwer. Dennoch sind wir die Vorbilder unserer Kinder und die Gestaltung ihrer Umgebung liegt in unserer Verantwortung.  

Empfehlungen

Als von Experten empfohlene tägliche Bildschirmzeiten gelten:

0-3 Jahre              kein TV und ähnliches

Vorschulkinder   nicht länger als 30 Minuten

6-8 Jahre              höchstens 1 Stunde

9-12 Jahre            höchstens 1,5 Stunden

Als Tabu gilt der eigene Fernseher im Kinderzimmer.

Bei jüngeren Kindern ist es besser gemeinsam fernzusehen. Gegebenenfalls kann man sie auch auf den Schoss nehmen. Durch den engen Kontakt kann man sofort auf Reaktionen des Kindes eingehen und ihm Dinge erklären. Der einseitige Monolog kann somit auch zum Dialog werden.

Je kleiner, umso weniger Abwechslung brauchen Kinder. Gerne sehen sie immer wieder die gleiche Geschichte, auch das gibt Sicherheit.

Geeignete Kinderfilme erkennt man daran, dass sie für Kinder auf Augenhöhe erzählt werden. Sie schließen an die kindlichen Wünsche, Erfahrungen, Ängste und Sorgen an und berücksichtigen ihre sozialen, kognitiven und emotionalen Fähigkeiten.

Suchen Sie nach gemeinsamen Filmschauen das Gespräch um zu reflektieren, zu zeichnen oder sogar um einzelne Szenen nachzuspielen. Kinder machen letzteres meist ganz von alleine. So kann man gut erkennen, wie der Film auf sein Kind gewirkt hat und lernt es besser einzuschätzen. Sind Kinder stark aufgedreht, reden immer wieder viel über den Film, und das Thema zieht sich lange durch deren Alltag, können dies Zeichen einer Überforderung bzw. Überreizung sein. 

Zwischen Lern- und Bildschirmzeit sollte mindestens eine halbe Stunde Abstand liegen, da das Gelernte ansonsten überlagert wird und nicht ins Langzeitgedächtnis gelangen kann.

Regelmäßige medienfreie Zeit – auch bei Langeweile – da sind sich die Experten einig.

Es empfiehlt sich für Eltern, einen geschützten Rahmen zu kreieren, indem sie ihre Kinder in altersgerechten Portionen an die Medien heranführen und experimentieren lassen. Gut informiert können Eltern klare Positionen beziehen, Verantwortung übernehmen und die Kinder in ihren Erfahrungen begleiten.

Weitere Expertentipps für den Umgang mit Medien im Alltag:

Seien Sie Vorbild! Einigen Sie sich auf klare Regeln, an die sich alle halten müssen, auch die Eltern.

Wertvolle gemeinsame Zeit (Bild: 186054507 (© Moving Moment – stock.adobe.com))

Beispiele für Regeln:

Das Familienleben, wie gemeinsame Mahlzeiten, Gespräche, Lese- und Bastelzeit hat immer Priorität. Keine Geräte am Tisch und bei den Mahlzeiten. Kein Gerät ist je wichtiger als der Kontakt miteinander. Digitale Medien sind für uns da, nicht wir für sie.

Bemühen Sie sich um qualitätsvolle, reale gemeinsame Zeit, wie lesen, spielen, spazieren gehen, gemeinsam kochen, basteln und Ausflüge machen.

Fördern Sie die Hobbys und Lieblingssportarten Ihrer Kinder.

Es ist schön, wenn Kinder die Möglichkeit haben, echte und glaubwürdige Vorbilder in ihrem Umfeld zu erleben. Das können neben den Eltern auch Lehrer, Freunde oder Nachbarn sein. Unterstützen Sie solche Kontakte.

Hilfreiche Links:

Jugend und Medien – das Informationsportal zur Förderung von Medienkompetenzen

https://www.jugendundmedien.ch/de.html

Die EU-Initiative für mehr Sicherheit im Netz

https://www.klicksafe.de/themen/kommunizieren/cyber-mobbing/cyber-mobbing-zahlen-und-fakten/

Quellen:

https://www.huffingtonpost.de/anna-luz-de-leon/raus-aus-dem-rapunzelturm_b_4990771.html?utm_hp_ref=digitale-kindheit

https://www.kino.de/fileadmin/user_upload/Unterrichtsmaterial/leitfaeden/Leitfaden_fuer_Eltern.pdf

http://www.spiegel.de/kultur/tv/doku-ueber-babyfernsehen-glotzen-bis-die-synapsen-qualmen-a-742984.html

https://www.kindererziehung.com/Paedagogik/Medien-und-Erziehung/Fernseher.php

http://medienkindergarten.wien/medienpaedagogik/kind-und-medien/das-fernsehen-als-leitmedium/

https://www.pressetext.com/news/20111018025

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